[Geschichte] History Fest Sarajevo: von gemeinsamer Vergangenheit zu geteilter Geschichte

Gestern, den 9.6.2021, habe ich zusammen mit Hannes Grandits (Professor für Südosteuropäische Geschichte, HU Berlin) und Ruža Fotiadis (Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Südosteuropäische Geschichte, HU Berlin) an der Historikerinnenkonferenz History Fest mit Teilnehmerinnen aus fast allen postjugoslawischen Ländern teilgenommen (Slowenien, Kroatien, Bosnien-Herzegowina, Serbien, Montenegro, Nordmazedonien). Die Veranstaltung fand in der bosnischen Hauptstadt Sarajevo statt: dort wurde sie am Vorabend von Benjamina Karić, der neuen Bürgermeisterin Sarajevos, in der Vijećnica eröffnet. Das History Fest dauert(e) insgesamt vom 8. – 12. Juni 2021, wurde unter der Federführung von Professor Husnija Kamberović organisiert und findet/fand auf Jezik* statt.1 Unsere gestrige Veranstaltung mit dem Titel „Gesellschaft und Geschichtsschreibung im südöstlichen Europa — von gemeinsamer Vergangenheit zu geteilter Geschichte2 kann als eigene Konferenz im Rahmen des History Fests betrachtet werden.

Die Vijećnica als Ort der Eröffnung ist selbst ein legendärer und emblematischer Ort, auf den hier kurz eingegangen sei. Dies betrifft besonders die Perspektive von Historikerinnen, die sich mit Fragen der Politisierung von Geschichte und Vergangenheit beschäftigen. Das im pseudo-maurischen Stil erbaute, ehemalige Rathaus3 aus der österreichisch-ungarischen Periode war vor dem Krieg der Sitz der Nationalbibliothek Bosnien-Herzegowinas und wurde im August 1992 von den serbischen Tschetnik-Belagerern der Stadt gezielt zerstört. Mehr als zwei Millionen Bücher und Dokumente verbrannten, doch das war bei weitem nicht das Gesamtausmaß brachialer, kultureller Zerstörungswut im ersten Kriegsjahr: bereits drei Monate zuvor war das Orient-Institut Sarajevos mit Phosphorgranaten beschossen und niedergebrannt worden, welches Sitz der größten Sammlung islamischer und jüdischer Handschriften und osmanischer Dokumente in Südosteuropa war. Laut András Riedlmayer, der bereits 1995 (noch während des Krieges) über die gezielte Zerstörung von Bibliotheken und Archiven in Bosnien-Herzegowina schrieb, umfassten die Verluste

5,263 bound manuscripts in Arabic, Persian, Hebrew, and Aljamiado (Bosnian Slavic written in Arabic script); 7,000 Ottoman documents, primary source material for five centuries of Bosnia’s history; a collection of 19th-century cadastral registers; and 200,000 other documents of the Ottoman era, including microfilm copies of originals in private hands or obtained on exchange from foreign institutions. The Institute’s collection of printed books, the most comprehensive library on its subject in the region, was also destroyed as was its catalog and all work in progress.

Riedlmayer, András (July 1995). „Erasing the Past: The Destruction of Libraries and Archives in Bosnia-Herzegovina“. Middle East Studies Association Bulletin. 29 (1): 7–11. doi:10.1017/S0026318400030418. JSTOR23061201.

Die gezielte Zerstörung dokumentierter Vergangenheit mit dem Ziel, die Geschichte und damit die sanktionierten Narrative einer Kulturgemeinschaft als Bestandteil eines Genozids auszulöschen und umzuschreiben, ist in dieser kriegerischen Form seit inzwischen mehr als 25 Jahren beendet. Dennoch wirken die Folgen des Bosnienkrieges (1992-1995) sowie des weiteren, bis in die jüngste Zeit anhaltenden Staatszerfalls Jugoslawiens nach.4 Dies machte sich auch auf unserer Konferenz bemerkbar: man kann (oder muss) sogar sagen, dass der jugoslawische Staatszerfall ausschlaggebend für die Themenwahl war, und insofern führt eine direkte Kausalitätslinie von der Zerstörung der Vijećnica in die Konferenz des History Fests, das ab Mittwoch im nicht weniger legendären, olympischen Hotel Holiday Inn stattfand: in keinem einzigen der postjugoslawischen Länder — die sich alle am modernen, europäischen Nationalstaatsprinzip als Idealtypus politischer Organisation orientieren — ist der Umgang mit der gemeinsamen Vergangenheit unumstritten, unproblematisch oder frei von politischer Instrumentalisierung.

Die Spannungen zwischen den beiden narrativen Enden der gemeinsamen Vergangenheit und der geteilten Geschichte — wobei podijeljen sowohl als geteilt, als auch als zerteilt verstanden werden kann — betrifft heute sogar in zunehmendem Maß weniger das Verhältnis der postjugoslawischen Länder zwischeneinander, sondern hat sich auf zwei weitere Bühnen verlagert: auf das Diskursfeld innerhalb der nationalen Historiographien einerseits, sowie das entgrenzte Diskursfeld der kosmopolitisierten Öffentlichkeit andererseits. Um letzteren Aspekt ging es auf der Konferenz aber nur am Rande — nämlich in den Beiträgen von Ruža Fotiadis über den griechisch-serbischen Freundschaftsdiskurs, sowie in meinem Beitrag über die Verbindung zwischen Bosnien/Bosniakinnen und der Türkei.

Die Mehrheit der Beiträge beschäftigte sich mit einer Innenperspektive, deren Relevanz ganz offensichtlich ist. Wie die Historikerin Dubravka Stojanović aus Belgrad in ihrem Beitrag es sinngemäß fomuliert hat, liegen die inneren Probleme der postjugoslawischen Einzeldiskurse nun quasi bar auf dem Seziertisch: seit sich der jugoslawische Diskursraum zerteilt bzw. auf Konferenzen und Netzwerke wie jenem des Programms Liberté pour l’histoire verlagert hat, können die grundsätzlichen Probleme und Dysfunktionalitäten der Einzelstaaten nicht mehr nur bei einem „Anderen“ gesucht und gefunden werden: ob es sich dabei nun um die Unfähigkeit des einen Staates handelt, Impfstoff gegen das Coronavirus der Covid19-Pandemie zu bestellen (Bosnien-Herzegowina), um das „Kidnapping“ eines ganzen Staates durch eine Clique (Serbien), oder sogar um die Situation in Slowenien, die alle am meisten überrascht habe. Freilich kann man hinzufügen, dass viele dieser Probleme doch wieder mit jenen der übrigen postjugoslawischen Länder eng verwachsen sind.

Für meinen eigenen Beitrag hatte mich Professor Husnija Kamberović gebeten, über die Frage zu referieren, ob die „bosniakisch-türkische Solidarität Bosnien und die Bosniaken von ihrer gemeinsamen jugoslawischen Vergangenheit entzweit und woher die Wichtigkeit der türkisch-bosniakischen Verbundenheit rührt.5 Dazu habe ich zuerst diskutiert, was eigentlich unter dem Begriff der Solidarität verstanden werden kann, der meines Erachtens inflationär und unscharf gebraucht wird: ist es etwa solidarisch, wenn die Vijećnica zum x-ten Male in den Farben der türkischen Flagge angestrahlt wird? Oder ist darunter die deklarative Solidarität in den Online Social Networks und anderen populären Medienprodukten zu verstehen, die zumeist als Liebe, Verwandtschaft, Bruderschaft oder Freundschaft bezeichnet wird? Handelt es sich um humanitäre Einsätze, wie im Jahr der Flutkatastrophe 2014, als die offizielle Türkei (wie zahlreiche andere Staaten) als humanitäre Helferin auftrat? Oder ist unter Solidarität eine diskursive Strategie zu verstehen, durch welche die Türkei als sicherer Hafen im Fall einer neuen, anti-muslimischen bzw. anti-bosniakischen Katastrophe visiert wird — sowie als militärische Schutzmacht, die auf Seiten der Balkanmuslime intervenieren werde?

Ich fokussierte den letztgenannten Aspekt der Verbundenheit aus Sicherheitsgründen, und zwar auf der Grundlage des historischen Beispiels der Türkeiauswanderung. Dafür unterschied ich zwischen Bosniakinnen in der Türkei, die nach dem Zweiten Weltkrieg als sogenannte Muhacir (Muhadžir)6 in die Türkei ausgewandert waren, und jenen des Balkans. Auch dort bestehen große Unterschiede zwischen dem Sandžak, Nordmazedonien und Bosnien-Herzegowina, was besonders ihre rechtliche Lage im gemeinsamen Staat Jugoslawien betraf. Trotz ihrer Auswanderung aus Jugoslawien — wo die Bosniakinnen des Sandžaks verhältnismäßig wenige Rechte geltend machen konnten (im Vergleich zu den Muslimen Bosnien-Herzegowinas) und sich folglich insbesondere in den 1950er-1970er Jahren größerer Unsicherheit ausgesetzt sahen — berichtete ich von einigen der Ergebnisse meiner Dissertation.

Diese mögen vielleicht überraschen: viele Bosniakinnen in der Türkei pflegen ein sehr positives Jugoslawienbild, was neben Nostalgie wiederum mit ihren dortigen Erfahrungen und der Situation der Türkei bei ihrer Auswanderung zu tun hatte. Aus Jugoslawien gekommen zu sein, bedeutete nämlich auch, aus einem entwickelteren Land zu kommen, von wo man Fernsehgeräte, Kühlschränke oder Strickmaschinen mitbringen konnte. Diese gab es in der Türkei damals nicht und waren konvertibel in andere, wertvolle Güter — wie zum Beispiel Häuser oder Arbeitsplätze. Für letzteres gereichte auch das Kapital, eine „europäische Bildung“ mitzubringen, wie im Fall einer jugoslawischen Lehrerin, die auch in der Türkei schnell Karriere machte.7 Aufgrund der knappen Zeit — und ich achtete dieses Mal darauf, nicht zu überziehen, was in Zagreb leider völlig schief ging8 — konnte ich viele weitere Gründe für das positive Jugoslawienbild sowie Negativbilder und Kontroversen nicht anführen.

Versuch

Bild: eine Tito-Devotionalie aus Istanbul — ein Kühlschrankmagnet, den der Herausgeber des nicht mehr existierenden Portals Haberbosnak drucken ließ.

Ich schloss mit der Beobachtung, dass hier nicht unbedingt von Entzweiung (odvajanje) von Bosniakinnen von der gemeinsamen Geschichte die Rede sein müsse: die gemeinsame Vergangenheit in Jugoslawien wird nicht negiert, auch wenn negative Aspekte, wie etwa die Verfolgungen in der Ranković-Ära, ebenso erinnert würden wie Tito als positive Figur; Jugoslawien werde insgesamt als positives Konzept erinnert, das man hinter sich ließ, weil man ausgeschlossen worden sei. Auch an dieser Stelle muss ich hinzufügen, dass die Gründe für die Auswanderung aber mannigfach waren und manchmal eher als „Zufall“ geschildert wurden. Dafür gesorgt, dass es nicht zu einer totalen Entzweiung gekommen sei, haben auch die grundsätzlich durchlässigen Grenzen Jugoslawiens und der Türkei, der florierende Schwarzhandel (šverc), alte Netzwerke über den Sandžak bis hinauf zu den Baustellen Deutschlands, und natürlich die in der alten Heimat gebliebenen Verwandten, mit denen man sich schreiben und Audiobriefe per Kassetten schicken konnte.

Außerdem kam ich auf die Frage nach der Relevanz der bosniakisch-türkischen Verbundenheit zurück. Ich nannte drei unterschiedliche Grundmotivationen, warum die Wichtigkeit dieser Verbindungen oft so hoch gehalten wird: erstens, aus realen Sicherheitsgründen und aufgrund realer, familiärer Verbindungen, wie im Fall der Muhacir. Zweitens gibt es politische, religiöse, wirtschaftliche, private, berufliche und andere Interessen, die wiederum in sich völlig unterschiedlich ausgestaltet sind. Drittens wäre noch die Tatsache zu nennen, dass es sich beim herrschenden AKP-Regime um ein neo-populistisches Regime handelt, das in die gleiche Kategorie einzustufen sei wie Narendra Modis Hindutva-Regime in Indien oder Viktor Orbán in Ungarn und unzählige weitere. Was ich aus zeitlichen Gründen nicht erwähnte, da es genauerer Ausführungen bedurft hätte, aber im Kontext Liberté pour l’histoire — Freiheit für die Geschichte — eigentlich extrem relevant ist, ist das laute Schweigen aus Bosnien und die weit verbreitete Desinformation zu den Verfolgungen von Akademikerinnen in der Türkei: eine Akademikerin aus Sarajevo hat mir dazu einmal im Spätwinter 2016 gesagt, dass es durchaus einige Akademikerinnen gebe, deren Platz im Gefängnis wäre, womit sie einerseits ihre Gleichgültigkeit gegenüber den Kolleginnen in der Türkei zum Ausdruck brachte. Sie verglich mehr oder weniger indirekt die Verfolgten des herrschenden AKP-Regimes mit den Kriegsverbrechern Radovan Karadžić, Franjo Tuđman oder Biljana Plavšić, die sie namentlich anführte. Auch diese Personen seien Akademiker(in) gewesen, hätten sich aber Kriegsverbrechen schuldig gemacht (Franjo Tuđman verstarb, bevor seine Rolle juristisch vollständig aufgearbeitet und verhandelt werden konnte). Auch dies — unterlassene Solidarität — wird in Bosnien oft genug unter Solidarität mit der Türkei verstanden.

Das Programm des History Fests kann über den Link eingesehen werden, wo sich auch die Namen der Teilnehmerinnen finden:

  • Branimir Janković,
  • Dubravka Stojanović,
  • Petar Todorov (ZOOM),
  • Magdalena Najbar – Agičić (ZOOM),
  • Božo Repe (ZOOM),
  • Vera Katz,
  • Šerbo Rastoder,
  • Milivoj Bešlin,
  • Ruža Fotiadis (ZOOM),
  • Thomas Schad (ZOOM),
  • Tvrtko Jakovina,
  • Hannes Grandits (ZOOM).
  • Moderator: Husnija Kamberović

Das History Fest ist eine regelmäßige Veranstaltung, das vom Verein UMHIS ( Udruženje za modernu historiju / Udruga za modernu povijest / Verein für Moderne Geschichte) kuratiert wird. Dieser ist als Ausgründung der Universität Sarajevo bzw. des Instituts für Geschichte zu sehen, wo in den letzten Jahren einige der oben erwähnten Grabenkämpfe um die „richtige Sicht“ auf Geschichte geführt und mit Machtfragen verknüpft werden. Das History Fest findet seit einigen Jahren einmal jährlich statt und hat eine eigene Homepage (History Fest). Es ist im Format vergleichbar mit dem Kliofest in Zagreb, das an die dortige Universität angebunden ist und an dem Ruža Fotiadis und ich vor wenigen Wochen als Vertreter(in) der Humboldt-Universität ebenfalls teilgenommen haben. Darüber habe ich einen Bericht geschrieben und auf meiner Homepage veröffentlicht. Wie in Zagreb, so haben wir auch in diesem Fall aus spät-pandemischen Gründen leider nicht vor Ort, sondern via Zoom-Schalte teilgenommen (was ich persönlich durch meine besondere Verbindung nach Sarajevo diesmal besonders bedauerlich fand). Das gesamte Panel wurde live über Youtube übertragen und kann dort abgerufen werden

Youtube-Video Sarajevo

Im August findet die nächste Veranstaltung der Programmreihe Liberté pour l’histoire in Belgrad statt und wird vom Projektpartner Krokodil ausgerichtet. Im Oktober schließlich sind wir als Berliner Partner an der Reihe und werden einen Runden Tisch an der Humboldt-Universität Berlin organisieren, zu dem dann hoffentlich alle in persona anreisen können — denn die Mittel stehen dank der Förderung durch die Europäische Kommission zur Verfügung. Diese ist nicht verantwortlich für den Inhalt des Gesagten und Veröffentlichten auf den Veranstaltungen des Programms, sondern alleine die Teilnehmerinnen selbst. Aus technischer Sicht gab es einige Mängel, so dass leider einige Beiträge ganz oder teilweise ohne Ton im Youtube-Video auftauchen. Auch während der Veranstaltung gab es immer wieder Probleme mit dem Ton, woran auf jeden Fall gearbeitet werden sollte. Ich nehme es als Warnschuss für unsere eigene Veranstaltung im Herbst auf. Weiterhin ist es aus meiner Sicht bedauerlich, dass das Programm zeitlich überfrachtet war. Einerseits war es wichtig und notwendig, Teilnehmerinnen aus fast allen postjugoslawischen Ländern dabei zu haben; andererseits fehlten mir die kosovarischen und albanischen Perspektiven auf die geteilte oder gemeinsame Vergangenheit. Das Programm gestaltete sich als stundenlanger Parcours durch jeweils höchst interessante Beiträge, ohne jedoch die Möglichkeit der Diskussion zu haben. Neben dieser eher technischen Kritik möchte ich die gesamte Veranstaltung jedoch ausgesprochen würdigen, weil die Organisatorinnen es geschafft haben, über die Jahre ein lebendiges, grenzüberschreitendes Netzwerk von kritischen Historikerinnen aufzubauen. Angesichts der enormen kriegerischen Instrumentalisierung von Geschichte ist dies an und für sich bereits von unschätzbarem Wert und alles andere als eine Selbstverständlichkeit.

Fußnoten

1. Wie ich in einem noch stark zu überarbeitenden Beitrag LINK begründet habe, verwende ich die Pseudo-Bezeichnung Jezik, was nichts anderes als Sprache bedeutet, und füge einen Asterisken (*) hinzu, wenn ich über eine kommunikative Situation schreibe, in der Menschen aus der Jugosphäre und Sprecherinnen von außerhalb (wie mir selbst) miteinander sprechen und dabei je eine der „Nachfolgesprachen des Serbokroatischen“ bzw. Bosnisch, Kroatisch, Montenegrinisch oder Serbisch verwenden. Es muss dabei nicht unbedingt klar sein, welche Bezeichnung für alle Sprecherinnen akzeptabel wäre, wobei aufgrund der uneingeschränkten, wechselseitigen Verständlichkeit eine geteilte, gemeinsame Sprache gesprochen wird, was aber von Sprachnationalistinnen und einem beträchtlichen Teil der Südslawistik abgestritten wird. Die Benennung der geteilten Sprache ist einer bzw. mehreren starken, sprachnationalistischen Tabuisierungen unterworfen, denen sich zwar die Einzelne entziehen kann; Dies stellt sich aber als kompliziert oder unmöglich dar, wenn Sprecherinnen aus unterschiedlichen Benennungskontexten miteinander sprechen und sich trotzdem verstehen. Primärsprachliche oder muttersprachliche Sprecherinnen umschiffen dieses Problem für gewöhnlich, indem sie untereinander die nicht-ethnonymische Pseudo-Bezeichnung naš jezik (unsere Sprache) oder einfach naš (unserer) verwenden: das Uns ist in diesem Fall der geteilte Sprachraum. Da naš jezik zwar eine hervorragende und konfliktvermeidende Lösung für Primär- und Muttersprachlerinnen darstellt, eignet es sich bislang nicht als echte Bezeichnung für den geteilten Sprachraum (für das Uns). Dies betrifft besonders Nicht-Muttersprachlerinnen, die sich womöglich weder selbst als Teil des Uns sehen können noch von den Primär- und Muttersprachlerinnen des Uns als dem Uns zugehörig wahrgenommen werden: ihnen wird zwar oft gesagt: „Sie sprechen unsere Sprache ja gut! (Lijepo govorite naš jezik)“ — wodurch ihnen zwar ein Kompliment erteilt wird, wodurch aber gleichzeitig auch eine Grenze zwischen dem Uns und dem Nicht-Uns ausgedrückt wird. Das pragmatische und logische Problem sowie die damit einhergehende Unmöglichkeit, eine für alle Sprecherinnen geeignete Bezeichnung für dieses sprachliche Phänomen zu finden, solange sich Uns (naš) und unsere Sprache (naš jezik) — oder eine wie auch immer geratene Alternative — nicht als eine für alle Sprecherinnen zugängliche Bezeichnung lexikalisiert haben, steigert sich in ein logisches Absurdum, wenn dem Nichtmuttersprachler (z.B. mir), der sich uneingeschränkt mit allen Uns-Sprecherinnen unterhalten kann, von der einen Muttersprachlerin gesagt wird: „Sie sprechen ja gut Kroatisch!“ (Lijepo govorite Hrvatski), während ihm in Serbien gesagt wird: „Sie sprechen ja gut Serbisch! (Lijepo govorite Srpski)“ — obwohl der Nichtmuttersprachler vielleicht gar nicht davon ausgeht, die von ihm gesprochene Sprache gewechselt zu haben, bzw. selbst die von ihm gesprochene Sprache als Bosnisch zu bezeichnen. Deshalb bietet sich Jezik* als nicht-ethnonymische Pseudo-Bezeichnung und Platzhalter an, mit dem jede und jeder Sprecher(in) anfangen kann, was auch immer sie oder er will.

2. Društvo i historiografija u jugoistočnoj Evropi − Od zajedničke prošlosti do podijeljene historije.

3. Vijećnica bedeutet Rathaus.

4. Dieser setzte mit der geopolitischen Wende der späten 1980er Jahre ein und ging 1991 in offene Kriegsführung über, die mit sehr kurzen kriegerischen Handlungen in Slowenien begann, sich 1991 in Kroatien fortsetzte, ab 1992 in Bosnien ihren blutigen Höhepunkt nahm und sich mit dem Kosovokrieg, den NATO-Bombardierungen Serbiens bzw. Restjugoslawiens fortsetzte. Auch in Makedonien (Nordmazedonien) drohte der Staatszerfall, Anfang der 2000er Jahre die Grenze zum Krieg zu überschreiten.

5. Da li bošnjačko-turska solidarnost odvaja Bosnu i Bošnjake od njihove zajedničke jugoslavenske prošlosti? I otkuda važnost tursko-bošnjačke povezanosti?.

6. Dieser Begriff ist ein islamischer Terminus und bezeichnet muslimische Flüchtlinge. In der Türkei war der Begriff bis in jüngste Zeit eine juristische Kategorie, die im Besiedlungsgesetz İskan Kanunu No. 2510 von 1934 verwendet wurde.

7. Sie hat mir erzählt, dass sie in jener fernsehlosen Zeit sogar in einer Kinowerbung auftrat, wo ihre Schule mit ihr als Frau mit europäischer Bildung warb.

8. That happened out of my own drive — aber auch, weil nicht im Vorfeld kommuniziert wurde, wie lange die Beiträge sein sollten. Ist mir immer noch unangenehm und tut mir den Anderen gegenüber aufrichtig leid.

Referenzen

Riedlmayer, András (July 1995). „Erasing the Past: The Destruction of Libraries and Archives in Bosnia-Herzegovina“. Middle East Studies Association Bulletin. 29 (1): 7–11. doi:10.1017/S0026318400030418. JSTOR23061201.

Sarić, Šamija. „DESTRUCTION OF ARCHIVAL RECORDS IN BOSNIA AND HERZEGOVINA“. – UDK 930.25:355.4](497.6)“1992/1995″ – god. 42(1999), str. 223-230

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