
PROTIV historijskog revizionizma,
ZA reviziju povijesnih spoznaja
Am Mittwoch, den 12. Mai 2021 habe ich zusammen mit meiner Kollegin Ruža Fotiadis als Vertreter/in des Lehrstuhls für Südosteuropäische Geschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin am Festival der Geschichte Kliofest in der kroatischen Hauptstadt Zagreb teilgenommen, wobei wir nicht nach Zagreb gereist sind, sondern via Zoom anwesend waren. Pandemie gerecht war das Festival nämlich als hybride Veranstaltung organisiert: die in situ Anwesenden trafen sich in der Nationalen und Universitätsbibliothek Zagreb, die zu Hause Gebliebenen auf der Plattfor Zoom (bzw. die ZuschauerInnen auf Youtube).
Im Rahmen des Kliofests, das bereits am Vortag begonnen hatte, fanden mehrere Einzelveranstaltungen zu ganz unterschiedlichen Themen statt. Unser Teil, der von 11:00 bis 14:00 Uhr dauerte, trug den Titel WIDER den historischen Revisionismus, FÜR die Revision historischer Erkenntnis (PROTIV historijskog revizionizma, ZA reviziju povijesnih spoznaja). Dieses Thema und die Teilveranstaltung waren wiederum Teil eines größeren Projekts mit dem Titel Histoire pour la liberté (Geschichte für die Freiheit), das sich mit dem weiteren Kontext des geschichtlichen Revisionismus in der Region befasst — aber auch darüber hinaus, wie etwa in Deutschland, Europa weit und global. Von der großen Aktualität und Relevanz des Themas in der Region zeugen die sich überschlagenden Nachrichten, Film- und Serienproduktionen in der Region, die zu großen öffentlichen Debatten und Verwerfungen führen. Wie Dubravka Stojanović aus Belgrad es in ihrem Beitrag pointiert hat, wird damit „die psychologische Möglichkeit neuer Probleme“ und schlimmstenfalls der Grund für erneute Konflikte geschaffen.
Das Projekt Histoire pour la liberté finanziert die Europäische Kommission. Neben den Gastgebern von Kliofest (der Universität Zagreb / Sveučilište u Zagrebu) sind daran der Verein für moderne Geschichte Sarajevo (UMHIS – Udruženje za Modernu Historiju) unter der Leitung von Professor Husnija Kamberović, der Verein Krokodil – Engaging Words aus Belgrad, vertreten von Professorin Dubravka Stojanović, sowie die bereits genannte HU Berlin unter Federführung von Professor Hannes Grandits beteiligt.
Organisiert und moderiert wurde die Veranstaltung von Magdalena Najbar-Agičić und Damir Agičić aus Zagreb. Auf dem Panel trugen Branimir Janković, Milivoj Bešlin, Stevo Đurašković, Aleksandar Jakir, Husnija Kamberović, Edin Omerčić, Tomasz Stryjek, Dubravka Stojanović, Ruža Fotiadis und Thomas Schad vor. Die Öffentlichkeit konnte per Youtube-Liveübertragung am Festival teilnehmen; das ganze ist auch im Nachhinein als Aufnahme auf Youtube betrachtbar. Die Sprache der Veranstaltung war Kroatisch bzw. Jezik*. Ich werde im Folgenden aus Gründen des Umfangs nur auf die beiden Beiträge aus Berlin eingehen und hoffe, diesen Beitrag bald noch als kompletten Tagungsbericht zu vervollständigen.
Wir (Ruža Fotiadis und Thomas Schad) sahen uns einer gewissen Herausforderung ausgesetzt, da wir üblicherweise nicht als Expert*innen deutscher Geschichtsaufarbeitung und Revisionismus in Deutschland forschen und auftreten. Von Berufs wegen setzen wir uns mit südosteuropäischer und türkischer Geschichte auseinander, wozu wir geforscht und publiziert haben. In diesem Kontext hätten wir zum Thema Geschichtsrevisionismus, Instrumentalisierung von Geschichte, Bildung öffentlicher Meinungen mittels geschichtlicher Themen natürlich einiges beizusteuern: doch hier war unsere Perspektive auf bzw. aus Deutschland gefragt.
Wir erfahren in unserer Arbeit als deutsche / deutschländische Historiker/innen, die in regelmäßigem Austausch mit der Öffentlichkeit, der eigenen Verwandtschaft und mit Historiker*innen der Region stehen, dass sich der Ruf Deutschlands — wenn das so allgemein und vage formuliert werden darf — innerhalb der letzten zwanzig Jahre signifikant verändert hat. Diese veränderte Wahrnehmung Deutschlands ist im Bereich des ehemaligen Jugoslawiens überwiegend positiv; in Griechenland und in der Türkei stellt sich die Situation aus mehreren unterschiedlichen Gründen etwas anders dar.
Während früher Deutschland europaweit — aus verständlichen Gründen — der lange Schatten der Nazivergangenheit vorauseilte, berichten in den letzten Jahren internationale Medien, die einer liberalen Sicht auf die Welt zugeneigt sind, hauptsächlich gewogen über Deutschland. Wichtige jüngste Wegmarken in dieser veränderten Wahrnehmung von außen waren die Siegeszüge der neopopulistischen, rechten und illiberalen Bewegungen in Europa, in den USA und weltweit, von denen sich die deutsche Bundeskanzlerin in ihrer stoischen Art scheinbar nicht irritieren ließ. Der britische Guardian und andere Blätter feierten Angela Merkel mehr als einmal als die „letzte Führerin der freien Welt“ (sinngemäßes Zitat), was gerade innerhalb Deutschlands von vielen kritischen Stimmen auch mit Unbehagen wahrgenommen wurde.
Ruža Fotiadis hat über das Thema der griechisch-serbischen Freundschaft geforscht, die einmal als „aus dem Nichts geschaffener Mythos“, ein anderes Mal als „historische Glaubensbrüderschaft“ eingestuft wird und in jedem Fall über die Dienlichmachung historischer Themen konstruiert wird. Ihre 2018 verteidigte Dissertation ist unter dem Titel „Freundschaftsbande. Griechisch-serbische Geschichts- und Gegenwartsdeutungen vor dem Hintergrund der Jugoslawienkriege 1991-1999“ vor kurzem (2021) im Wallstein-Verlag erschienen. Ich arbeite an einer Rezension des Buches (auf Bosnisch).
In ihrem Beitrag schilderte Ruža Fotiadis, wie sich das alte Industrielabel Made in Germany, das von einem ursprünglichen Marker für mindere Qualität über die Jahrzehnte hinweg zu einem Gütesiegel geworden war, auch auf den intellektuellen und geistigen Zustand Deutschlands zu übertragen haben schien. In dieser zugespitzten (Außen-)Perspektive des Nation-Brandings kann oft die Wahrnehmung entstehen, dass sogar die Aufarbeitung der Naziverbrechen, des Holokausts und die damit in Zusammenhang stehende Erinnerungskultur als vorbildlich ver- und gehandelt werden. Im Deutschen gibt es dafür einmal den Begriff der „Geschichtsaufarbeitung“, ein anderes Mal jenen der „Geschichtsbewältigung“. Bezogen auf die Länder des ehemaligen Jugoslawiens kann es zuweilen fast so erscheinen, als bestünde „Nachfrage“ nach Deutschland als einem vorzeigbaren Modell gelungener Geschichtsaufarbeitung oder -Bewältigung. Nun handelt es sich bei dieser dargestellten Sicht natürlich um eine grobe Vereinfachung, mit der sich HistorikerInnen — die sich ihrerseits mit Stereotypen, Metaphern, Ideal- und Feindbildern beschäftigt haben — kritisch auseinanderzusetzen haben. Über diese Herausforderung hat Ruža eine Zusammenfassung referiert.
Ähnlich wie Ruža habe auch ich über ein transnationales Beziehungsgeflecht geforscht, und zwar über die leibliche und diskursive Verwandtschaft zwischen Türken und (in die Türkei migrierten) Bosniaken. Die permanenten Anleihen des Diskurses bei den großen historischen Themen der Osmanischen Vergangenheit sowie der Flucht von Balkan-Muslimen in die zentraleren Gebiete des Osmanischen Reichs und in die Republik Türkei fallen dabei sofort ins Auge. Unter dem Arbeitstitel Die türkische Verwandtschaft befindet sich meine 2020 verteidigte Dissertation gerade in Überarbeitung und wird hoffentlich noch in diesem Jahr erscheinen.
In meinem Beitrag habe ich mich zuerst mit der Frage auseinandergesetzt, ob die Forschungsperspektive des westlichen Historikers auf einen südosteuropäischen (türkischen) Kontext nicht einer alten westlichen Tradition des Blicks auf die Anderen entspreche, der die frühe Ethnographie, Anthropologie und Regionalforschungen durchzieht. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich jedoch, dass der Blick auf historische Zusammenhänge, die außerhalb des nationalen Containers liegen, auch etwas über die gesellschaftlichen Veränderungen innerhalb des wissenschaftlichen Feldes in Deutschland selbst sowie global verrät. Dies habe ich mit dem Begriff des „methodologischen Nationalismus“ (Ulrich Beck; Nina Glick-Schiller u.a.) erläutert und erweitert um das Postulat Ulrich Becks, dass sich die Welt in einer „kosmopolitischen Metamorphose“ befinde und folglich auch die Forschungsperspektive kosmopolitisch werden müsse. Ich werde dies noch konkreter in einem eigenen Beitrag erläutern.
Thomas Schad, 15.5.2021