[NEOPOP] Tito ist tot: kurze Tropenanalyse mit Exkurs zum Atatürk-Kult

Josip Broz Tito ist am 4. Mai 1980 gestorben -- vor sage und schreibe 42 Jahren. Er ist zwar schon wenige Monate nach meiner Geburt gestorben, aber sein Konterfrei kannte ich trotzdem schon als Kind: es hing gerahmt an der Wand im Schlafzimmer des kleinen Hauses der Baba Verka in Bosnien. Und es wird schätzungsweise an fast allen vergleichbaren Wänden Jugoslawiens (oder Bosniens) gehangen haben. Sofern mein Gedächtnis verlässliche Aussagen über mein Mini-Me machen kann, war ich immer froh, dass bei uns zu Hause kein großes, gerahmtes Bild eines verstorbenen Politikers an der Wand hing. Und auch nicht an allen anderen Wänden meiner Umgebung. Wer die Türkei kennt, findet einen durchaus vergleichbaren, ikonographischen Wiedergänger in Atatürk, der sich dort vielleicht "noch überaller" an Wänden, in den kleinsten Tekels (Spätis), auf öffentlichen Plätzen, als übergroßes Plakat, als Unterschrift auf Autoheckscheiben und wo-nicht-sonst-noch findet (oder fand). Tito ist mir aber übrigens auch in der Türkei immer wieder als Konterfrei und Lobtext begegnet: wie im hier abgebildeten Give-away-Kühlschrankmagneten einer nicht mehr existierenden Publikation aus dem Milieu ausgewanderter Bosniak:innen in Istanbul. Es ist nur ein Beispiel. Dort (unter Bosniak:innen Istanbuls) werden zwar die Verhältnisse in Jugoslawien nicht als "ideal" erinnert -- denn sonst wäre man ja nicht aus dem Sandžak ausgewandert -- aber Tito wird zumeist in hohen Ehren gehalten. Genau wie Atatürk, dessen Konterfei sich mit Sicherheit in derselben Publikation finden wird.

[NEOPOP] Kann nichts mehr getan werden? Überlegungen zum tipping point männerischer Regime

Auch dieser Morgen begann wieder mit einem bereits alltäglich gewordenen, dystopischen Alptraum -- und zwar in einem Podcast von DLF Kultur: Wiktor Jerofejews Blick in die Zukunft ist düster: „Dieser Krieg hat etwas Apokalyptisches: Er dauert Jahre oder führt zu einem Atomkrieg“, sagt der russische Schriftsteller. Wiktor Jerofejew im Gespräch mit Vladimir Balzer: „Russland ist... Continue Reading →

[Neue Medien] Plattformkapitalismus und Historiographie: warum sich Historikerinnen nicht heraushalten können

Ich habe meinen Blick die letzten Jahre über -- wachgeschreckt durch das, was sich mir im Forschungsprozess dargeboten hat -- verstärkt auf den betäubten Zustand der digitalen Mündigkeit in Deutschland gerichtet. Davor habe ich die Bedeutung von Digitalisierung für schier alles, was ich beruflich tue, sträflich unterschätzt. Ich hielt Digitalisierung in erster Linie für eine Angelegenheit der Informatiker:innen. Ist dies eine Art Déformation Professionelle? Oder hat es mit einem mangelnden Selbstvertrauen in die Möglichkeiten zu tun, sich als Geistes- und Sozialwissenschaftler selbst Wissen über die Prozesse der Digitalisierung aneigenen zu können. Ich war damit jedenfalls nicht allein, besonders nicht in meinem Berufsfeld. Ich kenne viele Geisteswissenschaftler:innen, Sozialwissenschaftler:innen und besonders Historiker:innen, die glauben, ihre Rolle sei eine andere; sie könnten ihr Berufsfeld relativ getrennt von der Digitalisierung beackern, die zwar in Gestalt nützlicher Technologien und Methoden -- Übersetzungssoftware, Zitierprogramme, Kommunikationstechnologie, Content Management, "Digital Humanities" -- dienlich sei, aber eben eher aus der Perspektive verständiger Konsument:innen. Und liegt das bei Historiker:innen nicht besonders nahe? Wieso sollten Historiker:innen nun Expert:innen werden über die Frage, wie ihr Berufsfeld grundlegend von der Digitalisierung transformiert wird? Die digitale Revolution wird manchmal für das Jahr 2002 angesetzt, das kaum eine Historiker:in als weit genug vergangen ansieht, als dass es als historisch zu gelten habe. Es ist das Jahr, von dem geschätzt wird, man habe erstmals einen Zustand erreicht, in dem die Hälfte aller menschlich produzierten Information nicht analog, sondern digital produziert worden ist. Wir wissen, was damit gemeint ist: die rasende Geschwindigkeit unserer Zeit. Die krasse Fülle von Information. Und damit komme ich zum untrennbar verbundenen Verhältnis zwischen Digitalisierung und Historiographie.

[Geschichte] Bosnien 1992 – Ukraine 2022: Zivilgesellschaftliche Antworten auf den Krieg

Am 7. April 2022 hat ein Bündnis aus sieben Partnerorganisationen ein Diskussionspanel in Berlin veranstaltet, auf dem es sowohl um den Jahrestag des Kriegsausbruchs in Bosnien-Herzegowina vor genau 30 Jahren als auch um den Angriffskrieg des Putin-Regimes auf die Ukraine 2022 ging. Zusammen mit Vertreter:innen aus Zivilgesellschaft, Forschung und Politik haben wir über unmittelbare Formen der Solidarität mit der Ukraine gesprochen, aber auch über Erfahrungswerte aus Bosnien (in Berlin). Dabei haben wir auch über Unterschiede und Gemeinsamkeiten beider Kriege und ihrer Folgen über Grenzen hinweg diskutiert.

[Bosnia] Am 20. Januar 18:00 Uhr: Hat Europa weggeschaut? Europäische Solidarität mit Bosnien 1992-1995

Die Internationale Gemeinschaft hat während des Krieges in Bosnien-Herzegowina (BiH) weggeschaut und nicht in den Krieg eingegriffen – so der Vorwurf, der sowohl in Bosnien-Herzegowina als auch im Rest Europas laut wurde. Viele fühlten sich von der europäischen Politik alleine gelassen, obwohl sich die meisten Bosnier:innen doch selbst als Teil Europas sahen und sehen. Trotzdem... Continue Reading →

[Geschichte] Das Kriegsverbrechen auf der Hauswand: Beobachtungen aus Belgrad (I)

Dieser Text entsteht im Nachtrag einer erneuten, kurzen Reise nach Belgrad und schließt mehr oder weniger direkt an den Blogpost nach meiner vorangegangenen Reise Ende August an, als ich in meinen Beobachtungen einen anderen Schwerpunkt fokussierte: nämlich die Anwesenheit Jugoslawiens "als Elefant im Raum" in Architektur, Symbolik und linguistischer Landschaft der ehemaligen jugoslawischen und heutigen... Continue Reading →

[Geschichte] Odbranimo (h)istoriju / Lasst uns die Geschichte verteidigen in BG, 16.11.2021

Morgen, den 16. November 2021, findet die Abschlussveranstaltung des Projekts "Histoire pour la liberté" in Belgrad statt. Sie trägt den Titel: Histoire pour la liberté: Odbranimo (h)istoriju / Lasst uns die Geschichte verteidigen Veranstaltungsort ist der Studentenklub der Philosophischen Fakultät der Universität Belgrad, das ganze wird als Livestream auf dem YouTube-Kanal von "KROKODIL Engaging Words"... Continue Reading →

[Geschichte] Belgrad 2: Jugoslawien als Elefant im Raum

Belgrad war die Hauptstadt des geteilten Staates Jugoslawiens -- und Jugoslawien steht auf dem Festival KROKODIL in Belgrad wie der Elefant im Raum: denn letzten Endes positionieren sich alle revisionistischen Diskurse, mit denen sich die beteiligten HistorikerInnen und Nicht-HistorikerInnen auseinanderzusetzen haben, auf die ein oder andere Weise zum früheren, ge-teilten und dann zer-teilten Staat. Diese... Continue Reading →

[Geschichte] Belgrad 1: HistorikerInnen für den Frieden

Am 28. und 29. August 2021 fand in Belgrad die Konferenz HistorikerInnen für den Frieden (Istoričari za mir) als Teilveranstaltung des 13. Festivals KROKODIL statt. Die Konferenz war gleichzeitig Teil eines größeren Netzwerkprojekts postjugoslawischer und deutscher ProjektpartnerInnen, das den Titel Histoire pour la liberté (Geschichte für die Freiheit) (LINK) trägt. Neben den Gastgebern des Vereins Krokodil - Engaging Words aus Belgrad unter der Federführung von Professorin Dubravka Stojanović sind an dem Netzwerkprojekt die VertreterInnen des Kliofests der Universität Zagreb, des Vereins für moderne Geschichte Sarajevo (UMHIS - Udruženje za Modernu Historiju), sowie des Lehrstuhls für Südosteuropäische Geschichte der Humboldt-Universität zu Berlin beteiligt. Finanziert wird das Projekt von der Europäischen Kommission. Die Teilaktivitäten der Veranstaltungsreihe sind zum größten Teil schon über die Bühne gelaufen, worüber auf diesem Blog bereits jeweils einzeln berichtet worden ist: Zuerst hatte im Mai 2021 in Zagreb die Konferenz WIDER den historischen Revisionismus, FÜR die Revision historischer Erkenntnis (PROTIV historijskog revizionizma, ZA reviziju povijesnih spoznaja) stattgefunden (LINK), gefolgt vom History Fest Sarajevo im Juni 2021 -- unter dem Titel Gesellschaft und Geschichtsschreibung in Südosteuropa -- Von gemeinsamer Vergangenheit zu geteilter Geschichte (Društvo i historiografija u jugoistočnoj Evropi − Od zajedničke prošlosti do podijeljene historije, LINK). Den Abschluss wird am 26. Oktober an der Humboldt-Universität zu Berlin ein Runder Tisch bilden. 

[Geschichte] KROKODIL Belgrad: HistorikerInnen für den Frieden (Istoričari za mir)

Als Veranstaltungshinweis übersetze ich hier aus dem Serbischen die Programmankündigung für das 13. KROKODIL Festivals in Belgrad, in Rahmen dessen meine Kollegin Ruža Fotiadis und ich an der Teilkonferenz "HistorikerInnen für den Frieden" (Istoričari za mir) teilnehmen werden. Mehr Informationen zum KROKODIL Festival (das eigentlich ein Literaturfestival ist) und zur Veranstaltung folgen in Kürze im... Continue Reading →

[Geschichte] Der Genozid von Srebrenica (Teil 1): Hintergründe und ein strukturelles Problem mit „Sicherheit“

Heute, den 11. Juli 2021, jährt sich der Jahrestag der vollständigen Eroberung der ostbosnischen Stadt Srebrenica zum 26. Mal. Aus diesem Anlass habe ich einen zweiteiligen Text formuliert. Im ersten Teil geht es um eine Zusammenfassung der Geschehnisse um den 11. Juli 1995, weil ich es für absolut notwendig halte, dass die Beschäftigung mit dem Thema Genozid, die immer auch eine emotionale Auseinandersetzung ist, auf der Grundlage von Fakten geführt wird. Diese Fakten sind zuallererst wichtig, um gegen die Negierung von Genozid gewappnet zu sein, die leider ein verbreitetes Phänomen ist. Ich komme in diesem ersten Teil aber auch zu einem Problemaufriss der Rolle der angeblichen "Internationalen Gemeinschaft" bei den Genozid-Geschehnissen 1995: die starke Emotion der Enttäuschung auf Opferseite kann nämlich ein strukturelles Problem mit der UNO, mit nationalstaatlichen Sicherheitskonzepten sowie mit der Möglichkeit des humanitären Eingreifens in Konflikte überlagern. Diese Problematik darf aber keinesfalls ausgeblendet werden, weil angesichts der künftigen Klimakriege damit zu rechnen ist, dass es noch häufiger (als ohnehin schon bestehend) zu großen Konflikten kommen wird, denen mit einer "Gemeinschaft" aus "gegeneinander interessierten" Akteuren nicht beizukommen sein wird. Im zweiten Teil will ich mich der Frage des geschichtlichen Revisionismus und der Negierung des Genozids annähern. Welche Möglichkeiten gibt es, etwas erfolgreich gegen die Genozidleugnung zu tun, die in Serbien und in der Republika Srpska (RS) in Bosnien-Herzegowina quasi Staatsräson ist? Dazu werde ich ein politisches Filmgespräch genauer unter die Lupe nehmen, das vor kurzem zwischen der bosnischen Regisseurin Jasmila Žbanić sowie Mitgliedern des deutschen Bundestages stattgefunden hat. Besonders will ich dabei auf Jasmila Žbanićs Vorschlag eingehen, wie "der Narrativ gebrochen werden" könnte, mit dem die Negierung perpetuiert und Bosnien blockiere, sich zu entwickeln. Dies schildert sie anhand der Umsetzung der Premierenvorführung ihres Films Quo Vadis, Aida? im Herbst 2020 auf dem Filmfestival von Venedig. Dieser Film, der zahlreich ausgezeichnet wurde und Kandidat für den besten ausländischen Film bei den Oscars war, behandelt das Schicksal einer Lehrerin und ihrer Familie aus Srebrenica während der Belagerung, den Fall und Genozid, dem ihr Mann und ihre Söhne zum Opfer fallen. Der Film darf in der RS nicht gezeigt werden, und in Serbien wird er nicht gezeigt.

[Geschichte] History Fest Sarajevo: von gemeinsamer Vergangenheit zu geteilter Geschichte

Am 9. Juni 2021 habe ich zusammen mit Kolleginnen aus Berlin und Südosteuropa an der Historikerinnenkonferenz History Fest teilgenommen. Die Veranstaltung fand in der bosnischen Hauptstadt Sarajevo statt: dort wurde sie am Vorabend von Benjamina Karić, der neuen Bürgermeisterin Sarajevos, in der Vijećnica eröffnet. Das History Fest dauert(e) insgesamt vom 8. - 12. Juni 2021 und wurde unter der Federführung von Professor Husnija Kamberović organisiert. Die Veranstaltung fand auf Jezik* statt. Unsere gestrige Veranstaltung kann als eigene Konferenz im Rahmen des History Fests betrachtet werden. Sie trug den Titel "Gesellschaft und Geschichtsschreibung im südöstlichen Europa -- von gemeinsamer Vergangenheit zu geteilter Geschichte".

[Geschichte] Kliofest Zagreb: „Wider den historischen Revisionismus, für die Revision historischer Erkenntnis“

Im Rahmen des Kliofests, das bereits am Vortag begonnen hatte, fanden mehrere Einzelveranstaltungen zu ganz unterschiedlichen Themen statt. Unser Teil, der von 11:00 bis 14:00 Uhr dauerte, trug den Titel "WIDER den historischen Revisionismus, FÜR die Revision historischer Erkenntnis" (PROTIV historijskog revizionizma, ZA reviziju povijesnih spoznaja). Dieses Thema und die Teilveranstaltung waren wiederum Teil eines größeren Projekts mit dem Titel Histoire pour la liberté (Geschichte für die Freiheit), das sich mit dem weiteren Kontext des geschichtlichen Revisionismus in der Region (sowie darüber hinaus / in Deutschland) befasst. Von der großen Aktualität und Relevanz des Themas zeugen die sich überschlagenden Nachrichten, Film- und Serienproduktionen in der Region, die zu großen öffentlichen Debatten und Verwerfungen führen. Wie Dubravka Stojanović aus Belgrad es in ihrem Beitrag pointiert hat: damit wird der Grund bereitet für Konflikte und schlimmstenfalls "die psychologische Möglichkeit neuer Probleme" geschaffen.

[Bosnia] Ekspozej: Književni projekat „Bosna u Berlinu“

Rat u Bosni i Hercegovini je okončan prije više od 25 godina, neposred poslije užasnog vrhunca: genocida u Srebrenici. Ova 25. godišnjica je bila povod dvjema panel-diskusijama, organizovanim od katedre za južnu slavistiku na Humboldt-Univerzitetu u okviru Berlin Science Week @ HU, koje je moderirao historičar Thomas Schad. Nakon panel-diskusije, nastala je ideja za pisanje knjige „Bosnien in Berlin“ (Bosna u Berlinu). Pet mladih žena iz Bosne i Hercegovine, Srbije i Njemačke su izlagale raznolike perspektive u okviru ove diskusije i usprkos različite starosne dobi (i unatoč različitim doživljajima), sve govornice pak spaja jedno: s autobiografske ali i znanstvene strane se sve susreću i bave temom rata u Bosni i Hercegovini. Učesnice i učesnici manifestacije su imali osjećaj da njihove priče i doživljaji nisu ispričani do kraja. Potaknuti velikim javnim interesom i pozitivnim odjekom, donijeli su odluku da nastave pričati i pisati knjigu s radnim naslovom „Bosnien in Berlin“.

[Heine-Projekt] 6 Uneigentlicher Wald: Heines Metapherngebrauch

Wie im letzten Kapitel anhand des Figurationsmodells (Abb. unten) skizziert, spielen Frankreich und das deutsch-französische Verhältnis in Heinrich Heines Schriften eine zentrale Rolle. Dies gilt besonders für den hier analysierten Text Die Romantische Schule, der sowohl mit einer französischen, als auch mit einer deutschen Leserschaft korrespondiert. Frankreich und Deutschland stehen schon aus autobiographischen Gründen der... Continue Reading →

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