[NEOPOP] Kann nichts mehr getan werden? Überlegungen zum tipping point männerischer Regime

Auch dieser Morgen begann wieder mit einem bereits alltäglich gewordenen, dystopischen Alptraum — und zwar in einem Podcast von DLF Kultur:

Wiktor Jerofejews Blick in die Zukunft ist düster: „Dieser Krieg hat etwas Apokalyptisches: Er dauert Jahre oder führt zu einem Atomkrieg“, sagt der russische Schriftsteller.

Wiktor Jerofejew im Gespräch mit Vladimir Balzer: „Russland ist mehrheitlich Stalin, Putin und Iwan der Schreckliche“, DLF Kultur vom 30.04.2022.

Sehr bleierne, vielleicht auch bösartig strahlende Aussichten sprechen bereits aus dem Teaser: die Atombomben könnten auch „in die Ostsee, vor Deutschland“ geworfen werden — wobei ich mich frage, warum das Putin-Regime gerade „in die Ostsee“ zielen sollte, und nicht nach Helsinki oder Berlin. Die russische Oblast Kaliningrad um die ehemals deutsch geprägte Stadt Kaliningrad/Königsberg, der Heimatstadt von Immanuel Kant und Hannah Arendt, liegt westlicher und näher an Deutschland als die östlichsten Teile des Nachbarlands Polen. Durch seine mitteleuropäische Lage ist Kaliningrad von strategischer Bedeutung für das Putin-Regime — und als russische Enklave von großer Brisanz für die baltischen Staaten, Polen, Skandinavien und auch Deutschland. Die Gefahr eines Atomkrieges muss die deutsche Öffentlichkeit also sehr real beunruhigen.

Ich hoffe, dass die Diskussion über die Lieferung schwerer Waffen nicht zu einer solchen verkommt, in der es nicht viel mehr als zwei unschattierte Lager des Besserwissens gibt, was im Endeffekt auf wechselseitige Beschimpfung hinausläuft: so nehme ich die Diskussion gerade hauptsächlich wahr. An dieser Stelle will ich aber kein Statement zur Frage der Waffenlieferungen an die Ukraine machen — denn das verdient eine eigene und ausführliche Diskussion, und nicht umsonst findet diese nicht als adhoc-Prozess statt. Ich will hier auch bewusst nicht in die Diskussion um Empathie(-losigkeit) mit der ukrainischen Bevölkerung einsteigen — die eine wichtige ist, und die ich an anderer Stelle bearbeite — sondern auf einige weitere der grausigen Punkte des Gesprächs im Interview des Podcasts mit Jerofejew eingehen. Der sehr beunruhigende Aspekt, den Jerofejew hier äußert, lautet, dass es einen Punkt geben könnte, an dem „nichts“ mehr getan werden kann.

In den Diskussionen und im Sinnen über die Putin’sche Räson und Kriegsführung wurde in den letzten Wochen oft vermutet, Putin erfahre gar nicht genau, was auf dem Kriegsboden vor sich gehe, weil ihm ohnehin nur derlei Informationen zukämen, die für ihn wünschenswert und annehmbar seien. Analog zu dieser Beobachtung (oder Vermutung) über die Fehleranfälligkeit des Putin-Regimes sollte jedoch (meiner Ansicht nach) ein Detektor für Fehler in noch strengerem Maß als Eigenmaß gelten und angewandt werden. Ich bin mir dabei übrigens keineswegs so sicher wie einige Fürsprecher:innen der liberalen Demokratie — deren Fürsprecher auch ich absolut bin — dass letzterer ein „automatisches Korrektiv“ eingebaut ist. Meine Wahrnehmung ist leider, dass es auch im Meinungsbildungsprozess liberaler Demokratien und Öffentlichkeiten wesentliche Dinge gibt, die übersehen werden, nach dem Motto: es kann nicht sein, was nicht sein darf.

Deswegen sind im Moment auch und gerade russische Stimmen, so düster und kritisch sie sein mögen, äußerst wichtig. Die Stimme des Schriftstellers Wiktor Jerofejews spricht ein paar kardinale Fehler (darunter strukturelle Denkfehler) direkter an, als es jene Prämissen zulassen, die davon ausgehen, es könne grundsätzlich noch immer das richtige getan werden — so lange es nur bald (jetzt) getan werde. Ähnlich argumentieren übrigens auch andere russische Dissidenten, wie der jüngst erneut verhaftete, bereits zwei Mal vergiftete Wladimir Kara-Mursa, der 2017 davon sprach, dass es sogar 2014 schon „zu spät“ gewesen sein könnte:

Probably 2014 was a little bit late in trying to draw the line against Vladimir Putin. When Vladimir Putin came to power at the end of 1999, beginning of 2000, he tried to tread very carefully at first. He was testing both Russian public opinion and international public opinion and the views of Western leaders and Western governments to what he was doing. And there was no reaction. When he went after and shut down and destroyed independent national television networks in Russia, there was no reaction. In fact, just a few weeks after the Putin government seized control of NTV, the largest independent TV channel in Russia, he had that famous summit meeting with George W. Bush when he looked into his eyes and got a sense of his soul. This was a few weeks after the takeover of NTV. Two days after the Putin government pulled the plug on the last independent nationwide television network in Russia TVS, in June 2003, two days after that, Putin was treated to a royal reception, literally, of the London Guild Hall with the queen of England and with Tony Blair, the British prime minister. He was praised, and it was all pomp and circumstance. I think he could be forgiven for getting the wrong message that Western leaders really didn’t care about this.

The Putin Files: Vladimir Kara-Murza (Min. 36-40) (Transkription: Thomas Schad).

Kann der Westen heute den Krieg noch stoppen oder siegreich hervorgehen? Nein, laut Jerofejew geht das eben nicht, was in keinem unbeträchtlichen Maße mit der öffentlichen Meinung in der Russländischen Föderation zusammenhinge: 85 Prozent der russischen Bevölkerung seien sowieso nicht erreichbar, Demokratie stelle für sie gänzlich unbetretenes Land dar, sie suchten eher die Nähe zum Zaren, zu Stalin, zu Putin. Die Erwägung der Möglichkeit, dass es „nichts“ geben könnte, was jetzt noch getan werden könnte, deckt sich auch mit meiner Beobachtung, dass es im progressiven (illiberalen, männerischen, geschichtsrevsionistischen) Diskurs einen tipping point zu geben scheint: ein Kippen nach einem erreichten Eskalationsmaß, ab dem es für das stets nervöse, männerische Regime kein Zurück mehr gibt. Dafür finden sich überzeugende historische Beispiele.

Ein solches Beispiel bietet die SR Serbien innerhalb der SFRJ Jugoslawien. Dort war der tipping point spätestens 1989 bereits erreicht, als es zu einer folgenreichen Verfassungsänderung kam, mit der das empfindliche Proporzsystem der jugoslawischen Föderation strukturell so geschädigt war, dass eine föderative Lösung für die Zukunft für die übrigen Föderationssubjekte nicht mehr denkbar und hinnehmbar war. Direkt betraf dies Slowenien, Kroatien, Bosnien-Herzegowina und Makedonien, die sukzessive 1991 und 1992 aus der Föderation austraten, indem sie ihr verfassungskonformes Recht zum Austritt nutzten. Für Kroatien wurde es zu einem kriegerischen Debakel, für Bosnien-Herzegowina war es die Katastrophe. Besonders heikel war die Lage auch für die autonomen und jeweils multiethnischen Provinzen Vojvodina und Kosovo, die zur SR Serbien gehörten, aber auf föderaler Ebene je eine eigene Stimme hatten: sie verloren ihre Rechte und wurden Serbien einverleibt; während die Vojvodina von Kriegshandlungen verschont blieb, brach auch im Kosovo ein brutaler Krieg aus. Montenegro blieb vorerst an der Seite Serbiens, wobei auch dort Desinformationskampagnen im Rahmen der „antibürokratischen Revolution“ eine Rolle spielten.

Coverbild: Demonstration vor dem Belgrader Parlamentsgebäude im Oktober 2000, zitiert nach Sundhaussen, Holm (2007). Geschichte Serbiens. 19.-21. Jahrhundert. Wien/Köln/Weimar: Böhlau, S. 452.

Der teils gewaltsam umgesetzten Verfassungsänderung war übrigens eine Kampagne mit Genozidvorwürfen gegen das serbische Volk im Kosovo vorausgegangen — durchaus ähnlich zu den Genozidvorwürfen des Putin-Regimes in der Ukraine. In Serbien bildete sich nach dem sogenannten „Fall Martinović“ (einer Desinformationskampagne über die angebliche Vergewaltigung eines Serben durch einen Albaner im Kosovo), nach dem ultranationalistischen „Memorandum“ der Serbischen Akademie für Wissenschaften und Künste (SANU), aber insbesondere nach der hetzerischen, geschichtsrevisionistischen Rede Slobodan Miloševićs auf dem Amselfeld 1989 ein nationalistischer Mob, der sich in großen „Meetings“ auf den Krieg vorbereitete (Der deutsche Text der Amselfeldrede findet sich im Wikipedia-Eintrag). Die Folgen sind bekannt — und ebenso das „nichts mehr tun können“ des Westens, das angesichts völkerrechtlicher Hindernisse, Russland-Vetos, nationalstaatlicher Hindernisse und auch des Zeitgeists auf komplexe Art unbedingt ernst genommen werden muss. Mein Lehrer Holm Sundhaussen (R.I.P.) schrieb von einem „Wahrnehmungsmuster“, das über den Missbrauch des Wortes Genozid entstanden sei:

In der Folgezeit erschienen in „Pravoslavlje“ weitere Artikel, in denen die „Vernichtung“ des serbischen Volkes in Kosovo beschworen und der aktuelle „Genozid“ als Fortsetzung der „Völkermorde“ an den Serben von 1389 bis zum Zweiten Weltkrieg („Von Kosovo nach Jadovno“) dargestellt wurde. Den Geistlichen folgten Schriftsteller und Wissenschaftler. Die Schleusen jenes Dammes, der mit der jahrzehntelangen Tabuisierung „heikler“ Themen errichtet worden war, öffneten sich. Und bald begann der Märtyrer- und Genozid-Topos die öffentlichen Diskurse in Serbien (ebenso wie in Kroatien) zu beherrschen. „Genozid“ wurde zum Topthema. Kaum ein anderes Wort ist in den 1980er und 1990er Jahren so inflationär gebraucht und missbraucht worden wie das Wort „Genozid“. Seine permanente Wiederholung in vielfältigen Varianten (als physischer, politischer, rechtlicher, kultureller, religiöser, administrativer etc. Genozid) erzeugte ein Wahrnehmungsmuster, aus dem nahezu alles andere verdrängt wurde.

Holm Sundhaussen (2007): Geschichte Serbiens. 19.-21. Jahrhundert. Wien/Köln/Weimar: Böhlau, S. 387-388.

Ich bin heute davon überzeugt, dass man Milošević und andere geschichtsrevisionistische Akteure, deren Treiben in den 1990er Jahren charakteristisch für die Kriege war — darunter finden sich auch kroatische Nationalisten und Revisionisten — unbedingt schon in den 1980er Jahren hätte stoppen müssen, und zwar in chronologischer Ordnung beginnend mit den Unruhen im Kosovo Anfang der 1980er und der Machtusurpation Slobodan Miloševićs in Serbien die 1980er Jahre hindurch. Wer Serbien und BiH in den letzten Jahren bereist oder dort gearbeitet hat, weiß, dass dieses Wahrnehmungsmuster alles andere als überwunden ist — und sogar eine sehr direkte, fatale Verbindung zu den Wahrnehmungsmustern aufgebaut hat, die durch das Putin-Regime erzeugt werden. Die Gefahren und möglichen Konsequenzen für einen Weltkrieg werden durch diese Verstrickungen nur noch deutlicher. Die Brisanz, die sogenannten „periphären Räumen“ zukommen kann — und der sogenannte Westliche Balkan, weiterhin ausgeschlossen vom Prozess der supranationalen Integration in die EU, muss als solcher gelten — sollte nun allen klar sein. Die jüngsten Initiativen der neuen Bundesregierung deuten darauf hin, dass dies verstanden wurde.

Belgrad 2021: Täter-Opfer-Umkehr an der Hauswand und Verherrlichung des Genozid-Täters Ratko Mladić. Bildquelle: eigene Aufnahme, November 2021.

Handlungsmaxime Rechtzeitigkeit

Ebenso sind Analogien zu noch viel grausameren Appeasement-Erfahrungen herstellbar, wenn wir nur an die deutschen Nazis und das Hitler-Regime denken. Ich will in diesem Beitrag die Beispiele aber nicht weiter ausführen (das tue ich an anderer Stelle), sondern eine grundsätzliche Handlungsmaxime formulieren, die vom oben genannten Beispiel Russlands, aber auch Serbiens (Jugoslawiens) ausgehen. Die Handlungsmaxime lässt sich auf Rechtzeitigkeit verdichten. Im Interview mit Jerofejew finden sich zum Beispiel auch ein paar schlagende Argumente dafür, warum eine liberale, d.h. an liberalen Werten orientierte Außenpolitik, rechtzeitig und vor allem grundsätzlich, prinzipiell und stetig nach der Devise handeln muss, illiberale, geschichtsrevisionistische, männerische Regime nicht zu unterstützen, nicht zu stärken und nicht mit aufzubauen. Laut Jerofejew hat genau das aber zum Beispiel Frau Merkel — in den Rhapsodien der internationalen Presse oft (zuunrecht?) als the last leader of the free world bezeichnet — mit jedem Flug nach Moskau getan.

Elle n’est pas seule. Putin n’est pas seul. Wenn also auf der Ebene der proaktiven Politik trotzdem etwas getan werden kann — und davon bin ich überzeugt! — dann besonders dort, wo der illiberale, geschichtsrevisionistische, männerische Progress den tipping point noch nicht erreicht hat. Bei der Türkei, auf die ich gleich noch eingehe, ist er meines Erachtens schon überschritten; doch das heißt nicht (wie übrigens auch Wladimir Kara-Mursa 2017 hinsichtlich des Putin-Regimes feststellte), dass man nun zu allem Ja und Amen sagen sollte.

Ich sehe insgesamt das größte Problem darin, dass auch von liberaler Warte die immer gleichen Argumente der sogenannten Realpolitik vertreten werden, die nun wirklich kein undurchdringbares Geheimwissen darstellen. Es handelt sich um ganz banale, leicht zu begreifende und dennoch völlig falsche Argumente. Dennoch werden diese mit einer unglaublichen, belehrenden Arroganz vorgetragen. Arroganz aber ist Teil des Problems: im Gespräch mit Jerofejew besteht die Arroganz nach Ansicht des Schriftstellers auch darin, in einer eurozentrischen Sichtweise die Möglichkeit einer katastrophischen Eskalation nicht zuzulassen. Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Das Entlarven der arroganten Zurückweisung von Kritik an angeblicher Realpolitik meine ich mit dem Fehler-Detektor, der in umso strengerem Maße an sich selbst anzulegen ist, als die Ignoranz substanzieller, wichtiger Kritik implizit, also unbemerkt, wirkt.

Natürlich muss ich dabei mindestens kurz auf die bereits mehrfach thematisierte Problematik der Meinungsplattformen zurückkommen. Denn auch Hinz und Kunz (Sorry, Hinz und Kunz!) äußern Meinungen zu Außenpolitik — und es ist bekannt, dass Hinzens und Kunzens leider oft unqualifizierte Meinungsbildung durch die nicht eingehegten Plattformen der Meinungsproduktion propelliert und zu verheerenden Ausmaßen relevant gemacht werden.

(Dazu ausführlicher im Beitrag Plattformkapitalismus, worüber ich im Neopopulismus-Projekt jedoch noch ausführlicher schreibe)

Hear critique, ruft es hie und da woke aus der bedrängten Jugend, die allerdings ziemlich genau weiß und „klimatisch“ spürt, dass ihre Zukunft kaum noch anders als grausam zu werden droht. Allein aus Gründen der Generationengerechtigkeit muss eine Revision erprobter — und gescheiterter — Policy-Findung erfolgen. Denn trotz allen unbelehrbaren Meinens, Denkens, Findens und Wünschens Hinzens und Kunzens ist es keineswegs so, dass Menschen, die das Argument vertreten, man dürfe zur Durchsetzung (angeblich!) eigener Ziele nicht mit illiberalen, geschichtsrevisionistischen, männerischen Regimen zusammenarbeiten, im Namen eines Weiterso eines besseren zu belehren wären. Noch effektiver werden kritische Stimmen aber oft einfach ignoriert — obwohl die Kompetenz des Verwaltungspersonals (darunter Berufspolitiker:innen) nicht immer unzweifelhaft ist. In Ignoranz, vielleicht am besten auch wörtlich über das lateinische ignorare mit nicht kennen, nicht wissen zu übersetzen, sehe ich die größte, unmittelbare Gefahr: im Fortleben von Paradigmen, die einfach nicht reflektiert werden wollen. Dadurch kann nicht eingesehen werden, dass das Denken — und vor allem zukunftsträchtige Konzeptualisierungen des Politischen — erst einmal außerhalb des überkommenen Paradigmas stattfinden müssen. Dabei gibt es kein einziges überzeugendes Argument, das nicht schnell durch Erfahrungen aus der Wirklichkeit zu widerlegen wäre, warum sich die jahrzehntelange Unterstützung illiberaler, geschichtsrevisionistischer, männerischer Regime positiv auswirken sollte. Als Argumente werden oft „Energiesicherheit“, „Demokratisierung“, „Stabilität“, „Verlässlichkeit“, „geopolitische Macht“ u.v.m. ins Feld geführt.

Betrachten wir dazu ein weiteres illiberales, geschichtsrevisionistisches, männerisches Regime: das AKP-Regime in der Türkei. Hat sich etwa die Unterstützung dieses Regimes je positiv ausgewirkt? Für die Türkei? Für Europa? Für „die Region“ (Syrien, Irak, Griechenland, Kaukasus, Balkan,…)? Für Frauen? Für Minderheiten? Für Yezid:innen, Kurd:innen, LGBTQ*, Andersdenkende, Atheist:innen? Für Journalist:innen? Ich denke: Nein. Oft werden Fälle einzelner, befreiter Journalisten angeführt, deren Verhaftung allein aber schon eine Niederlage war und den Charakter des Regimes eindeutig illustriert. Auch wird oft angeführt, man habe durch „Zusammenarbeit“ mit dem „Partnerland“ die Öffnung der Grenzen für Millionen Flüchtlinge verhindert: ernsthaft? Es heißt: Putin hat Waffen auf den Balkan geschickt — Erdoğan nicht. Nur: Putin hat jahrelang keine Waffen auf den Balkan geschickt, dafür aber „nur“ sein ideologisches Gift. Nicht weniger als beides tut auch Erdoğan — auch wenn die Kriegsböden derzeit in der Levante liegen, und nicht auf dem Balkan.

Die öffentlichkeitswirksamen Sprechakte des illiberalen, männerischen und geschichtsrevisionistischen AKP-Führers beunruhigen die aktuelle deutsche Außenpolitik nicht. Hier ein Bild Erdoğans vom Drehset der geschichtsrevisionistischen TV-Serie Diriliş Ertuğrul. Bildquelle: Screenshot.

Das Wort „Zeitenwende“ muss ernst genommen werden, allein wegen der Klimakatastrophe: das alte Totschlagargument Energiesicherheit hat sich besser früher als später erledigt — auch wenn die Abhängigkeit noch unmittelbar groß ist: es paraphrasiert im Grunde den fortlaufenden Verbrauch fossiler Energie, woraus weitere Unsicherheit für Alle erwächst. Auch die Möglichkeit, dass es tatsächlich Eskalationsstufen geben kann, von wann ab „nichts“ mehr getan werden kann — oder nur sehr eingeschränkt — muss unbedingt ernst genommen werden: ob hinsichtlich der Klimakatastrophe oder der militärischen Eskalation. Selbst militärische Laien wie ich dürfen wahrscheinlich mit Fug und Recht davon ausgehen, dass Panzerfäuste und Nuklearwaffen einander nicht ebenbürtig sind.

Allerdings sehe ich durchaus Möglichkeiten, was selbst jetzt noch getan werden kann und muss — denn sonst könnte ich ebenso gleich ganz aufhören, mir überhaupt noch Gedanken zu machen. Darüber, was auch im Fall Russlands noch getan werden kann, müsste die Diskussion um die zu gebrauchenden Waffen und Waffensysteme auf ein anderes Feld umgelenkt werden. Und es müssen noch viele weitere Köpfe zusammenarbeiten, gemeinsam denken und Pläne schmieden. Ich hoffe, das kann gelingen. Ich bin aber auch sehr skeptisch – vor allem wegen der zu befürchtenden Nicht-Existenz digitaler Anti-Troll-Fabriken in Europa. Dazu ein anderes Mal mehr. Bis dahin empfehle ich, sich die Erfahrungen Taiwans im Bereich der hybriden Kriegsführung genauer anzusehen. Das werde ich jedenfalls tun…

Referenzen, Coverbild und weiterführende Literatur (Auswahl)

Coverbild: Demonstration vor dem Belgrader Parlamentsgebäude im Oktober 2000, zitiert nach Sundhaussen, Holm (2007). Geschichte Serbiens. 19.-21. Jahrhundert. Wien/Köln/Weimar: Böhlau, S. 452.

Grandits, Hannes / Pichler, Robert / Fotiadis, Ruža (Hrsg.) (2021). Kosovo in the Yugoslav 1980s ( = Special Issue), Comparative Southeast European Studies, Volume 69 (2021), Issue 2-3.

Popov, Nebojša (Ed.) (1996). The Road to War in Serbia: Trauma and Catharsis. Budapest: Central European University Press.

Srpska strana rata. Trauma i katarza u istorijskom pamćenju (I deo) [Die serbische Seite des Krieges. Trauma und Katharsis im historischen Gedächtnis]. Erster Teil, Zweite Ausgabe. Belgrad, 2002.

Stojanović, Dubravka (2017). Populism the Serbian Way. Belgrade: Peščanik.

Sundhaussen, Holm (2007). Geschichte Serbiens. 19.-21. Jahrhundert. Wien/Köln/Weimar: Böhlau.

Wiktor Jerofejew im Gespräch mit Vladimir Balzer: „Russland ist mehrheitlich Stalin, Putin und Iwan der Schreckliche“, DLF Kultur vom 30.04.2022, URL: https://www.deutschlandfunkkultur.de/wiktor-jerofejew-ueber-seine-russische-heimat-100.html?email=thomas.schad%40fu-berlin.de&datenschutzcheckbox=on (zuletzt abgerufen am 2.5.2022).

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