Acta Francorum

Plädoyer für eine neue Heimat- und Sachlichkeit der Gegenwart

Die Acta Francorum sind ein sehr persönliches Projekt: eine Sammlung von Personal Essays, die über einen längeren Zeitraum aus meiner Seite Inkubator Metamorφ herauswachsen. Mit großer Begeisterung habe ich Didier Eribons Personal Essay Rückkehr nach Reims gelesen, von dem schwer zu sagen ist, ob es ein wissenschaftliches Buch, eine autobiographische Reflexion, oder beides zugleich ist: einerseits lässt uns der Autor gesamtgesellschaftlich relevante Zusammenhänge wie Rechtsruck, Klassenattitüde und Homophobie verstehen — andererseits ist es eine äußerst persönliche Rückreise in die eigene Herkunft, den Geburtsort und die Familie des Autors. Für mich war der von Eribon verwendete, gemischte Stil des Personal Essays eine Offenbarung: genau diese Form des denkenden Schreibens ist mein Ding.

Einige der Themen, die ich in den Acta Francorum behandle, sind die Forderung nach einer unverkitschten, neuen Heimat und Sachlichkeit, der naturräumliche und gesellschaftliche Wandel des ländlichen Raums am ehemaligen Zonenrand, sowie das Aufwachsen in einer europäischen Familie, in der schon immer aus unterschiedlichen Ländern (Sowjetunion, Jugoslawien) migriert wurde. ‚Heimat‘ ist seit langem ein umstrittener Begriff, von Missverständnissen umrankt (Scharnowski), durch Instrumentalisierung verfemt, völlig unterschiedlich verstanden und definiert: für die einen ist sie ein „Albtraum“ (Aydemir/Yaghoobifarah), für die anderen ein unübersetzbar deutscher Begriff, für die nächsten ein diffuses Gefühl. Ernst Bloch hat sie als unerreichbaren Ort beschrieben („worin noch niemand war“) — als etwas, „das allen in die Kindheit scheint“. Für eine große Zahl der Menschen ist Heimat ein sehr konkreter Ort — denn „der Mensch ist immer irgendwo“ (Bloch). Doch dieses Irgendwo — egal, wo — ist überall dabei, sich stark zu verändern.

Etwas aus dem Blick geraten ist dabei der ländliche Raum, der seit langem als Verlierer schlechthin gilt: wem es um die persönliche Freiheit bestellt ist, zieht in die Stadt — und wer eine stabile Internetverbindung braucht, sowieso. Überhaupt war über Jahrzehnte hinweg unhinterfragt davon die Rede, dass die Zukunft der Menschheit in den großen Städten läge. Der erste Lockdown der Covid19-Pandemie, der 2020 sofort nach dem ersten Essay des Projekts Acta Francorum eintrat, hat bei vielen eingefleischten Städtern an dieser Gewissheit gerüttelt: war die Vorstellung, gleich nach dem Aufstehen Gras zwischen den Fußzehen spüren zu können, nicht doch reizend? Gleichzeitig prägt im Hintergrund die spürbare, progressive Klimakatastrophe den Zeitgeist — besonders in den überhitzten Städten, wo man sich der Abhängigkeit vom Land wieder bewusster wird.

Ich habe schon immer einen besonderen Draht zur nichtmenschlichen Umwelt. Weil ich außerdem davon überzeugt bin, dass heute jede sinnvolle Beschäftigung mit sozialen und geschichtlichen Fragen immer in Verbindung mit dem naturräumlichen Wandel der menschlich induzierten Klimakatastrophe gesehen werden muss, habe ich mich für eine entsprechende Perspektive entschieden: Die Acta Francorum sind nach den vier natürlichen Jahreszeiten der nördlichen Hemisphäre gegliedert. Diese Verknüpfung von Natur- und Sozialraum erlaubt es mir, von der Jahreswende der Rauhnächte zur Zeitenwende der 1990er und der Gegenwart am ehemaligen Zonenrand zu kommen (Kapitel Winter); von einer Schlüsselblumenwiese im pandemischen April 2020 zurück zur ersten selbst erlebten Umweltkatatstrophe (Tschernobyl) im April 1986 (Kapitel Frühling); von der neuen, sommerlichen Tourismusbewegung in Franken über alte Urlaubserinnerungen in Jugoslawien hin zum Phänomen der Aufwertung des ländlichen Raums in der Gegenwart (Kapitel Sommer); von den Erntedank- und Kirchweihbräuchen Frankens ab Oktober und einem Besuch jüdischer Friedhöfe im Herbst zurück zur Geschichte des ausgelöschten Landjudentums, das die Dörfer in Franken mitgeprägt hatte (Kapitel Herbst).

Es ist zu früh, vor Abschluss des Projekts etwas Genaues zum Schlusskapitel zu sagen. Doch schätzungsweise wird es, inspiriert von Pierre Bourdieus Soziologischem Selbstversuch, darum gehen, die eigenen „blinden Flecken“ zu ergründen, die sich über die Lehr- und Wanderjahre erhalten haben und doch — durch Kontrast? — sichtbarer geworden sind; meine bisherigen Forschungs- und Schreibtätigkeiten führten ja selten aufs Land, sondern fast ausschließlich in Städte wie Berlin, Istanbul und Sarajevo. Es war nie meine Absicht, etwas über das ländliche Franken zu schreiben — denn das war schon lange vor dem Abitur eigentlich abgeschrieben. Aber so verhält es sich, ganz wörtlich, mit dem Begriff echter „Reflexion“: man „beugt (sich) zurück“ — sowohl zeitlich, als auch räumlich. La réflexion n’est autre chose qu’une attention à ce qui est en nous. Die Reflexion ist nichts anderes als die Aufmerksamkeit auf das, was in uns ist. (Leibniz, zit. nach Wikipedia)

Im folgenden befindet sich nur eine sehr knappe Übersicht der Kapitel der Acta Francorum, wobei sich die genauen Überschriften und Anordnungen der Themen noch verändern können. Ein Teil meiner Essays über Franken, die zuerst völlig unbeabsichtigt und quasi nebenher entstanden sind, befindet sich schon in der einen oder anderen Form auf dieser Seite, und zwar entweder unter der Kategorie Francorum, oder versehen mit dem Schlagwort Acta Francorum. Allerdings sind das alles nur Fragmente — das heißt, sie werden noch ganz erheblich umgearbeitet, bevor sie am Ende im Gesamttext wieder auftauchen. Ich hatte zwischenzeitlich schon eine eigene Homepage des Projekts mit eigener Domain, habe aber aus Versehen den Inhalt unwiederbringlich gelöscht. Ich hoffe, irgendwann Förderung für das Projekt zu erhalten, um dann mit mehr Zeit daran arbeiten und die Domain wieder mit einer eigenen Seite füllen zu können. Über Fragen und Anregungen (gerne auch zu Förderungsmöglichkeiten!) an folgende Adressen freue ich mich bis dahin:

info [at] acta-francorum.de

thomas.schad [at] fu-berlin.de

1. Einleitung

Idee / Autor / Neue Heimat- & Sachlichkeit / Aufwertung des ländlichen Raums / Kapitelübersicht.

2. Winter

2.1 Wo noch Frost fällt: Rauhnächte in der Rhön / 2.2 Ein Dorf inszeniert sich selbst: Die Fahrenden Gaukler / 2.3 Zeitenwenden und Fluchten am Zonenrand

3. Frühling

3.1 Eine Schlüsselblumenwiese trotzt den Katastrophen / 3.2 Die Landschaftserzählung des Kreuzbergs / 3.3 Christliche Religiosität und Spiritualität im Francorum

4. Sommer

4.1 Die Aufwertung des ländlichen Raums / 4.2 Wie die jugoslawische Pita zur Fränkin wurde / 4.3 Blasmusik, Nirvana und Sauerbraten: was ist fränkisch?

5. Herbst

5.1 Wo die Energie als Maisfeld wächst / 5.2 Verlorene Fränkinnen: das Landjudentum / 5.3 Erntedank, Fasten, Potlatsch: zur Wiederkehr der Rauhnächte

6. Schluss

Schluss

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