[Articles] Autokratisches Lernen Parallelen des russischen und türkischen Neopopulismus (Südosteuropa Mitteilungen 5-6/2022)

Mein jüngster Artikel ist im Dezember 2022 im Open Access-Format in den Südosteuropa Mitteilungen der Südosteuropa-Gesellschaft erschienen. Darin untersuche ich Parallelen in der Entwicklung autokratischer Herrschaft in Russland und der Türkei. Anhand der Aktivitäten beider Regime auf dem Westlichen Balkan werden einige der wichtigsten Herausforderungen für die liberale Demokratie aufgezeigt, wobei drei Hauptthesen verfolgt werden: Erstens sind revisionistische, neopopulistische Regime mit den genuinen Interessen der liberalen Demokratie unvereinbar und stellen eine Herausforderung für die Forderung nach einer werteorientierten Außenpolitik dar, wie sie z.B. von Deutschland vertreten wird. Zweitens gibt es einen Kipppunkt in der autokratischen Entwicklung populistischer Regime, der übersehen werden kann - was funktionierende Partnerschaften zwischen beiden Regimen unmöglich und eine Rückkehr auf den Pfad der Demokratie unwahrscheinlich macht. Drittens dient das revisionistische Sendungsbewusstsein neopopulistischer Akteure sowohl in Russland als auch in der Türkei der Herrschaftssicherung, indem sie die öffentliche Zustimmung im In- und Ausland manipulieren. Der Beitrag schließt mit einem Plädoyer dafür, den revisionistischen Neopopulismus als solchen ernst zu nehmen, und plädiert für ein strategisches Umdenken in der Außenpolitik gegenüber neopopulistischen Regimen.

[NEOPOP] Kann nichts mehr getan werden? Überlegungen zum tipping point männerischer Regime

Auch dieser Morgen begann wieder mit einem bereits alltäglich gewordenen, dystopischen Alptraum -- und zwar in einem Podcast von DLF Kultur: Wiktor Jerofejews Blick in die Zukunft ist düster: „Dieser Krieg hat etwas Apokalyptisches: Er dauert Jahre oder führt zu einem Atomkrieg“, sagt der russische Schriftsteller. Wiktor Jerofejew im Gespräch mit Vladimir Balzer: „Russland ist... Continue Reading →

[Neue Medien] Plattformkapitalismus und Historiographie: warum sich Historikerinnen nicht heraushalten können

Ich habe meinen Blick die letzten Jahre über -- wachgeschreckt durch das, was sich mir im Forschungsprozess dargeboten hat -- verstärkt auf den betäubten Zustand der digitalen Mündigkeit in Deutschland gerichtet. Davor habe ich die Bedeutung von Digitalisierung für schier alles, was ich beruflich tue, sträflich unterschätzt. Ich hielt Digitalisierung in erster Linie für eine Angelegenheit der Informatiker:innen. Ist dies eine Art Déformation Professionelle? Oder hat es mit einem mangelnden Selbstvertrauen in die Möglichkeiten zu tun, sich als Geistes- und Sozialwissenschaftler selbst Wissen über die Prozesse der Digitalisierung aneigenen zu können. Ich war damit jedenfalls nicht allein, besonders nicht in meinem Berufsfeld. Ich kenne viele Geisteswissenschaftler:innen, Sozialwissenschaftler:innen und besonders Historiker:innen, die glauben, ihre Rolle sei eine andere; sie könnten ihr Berufsfeld relativ getrennt von der Digitalisierung beackern, die zwar in Gestalt nützlicher Technologien und Methoden -- Übersetzungssoftware, Zitierprogramme, Kommunikationstechnologie, Content Management, "Digital Humanities" -- dienlich sei, aber eben eher aus der Perspektive verständiger Konsument:innen. Und liegt das bei Historiker:innen nicht besonders nahe? Wieso sollten Historiker:innen nun Expert:innen werden über die Frage, wie ihr Berufsfeld grundlegend von der Digitalisierung transformiert wird? Die digitale Revolution wird manchmal für das Jahr 2002 angesetzt, das kaum eine Historiker:in als weit genug vergangen ansieht, als dass es als historisch zu gelten habe. Es ist das Jahr, von dem geschätzt wird, man habe erstmals einen Zustand erreicht, in dem die Hälfte aller menschlich produzierten Information nicht analog, sondern digital produziert worden ist. Wir wissen, was damit gemeint ist: die rasende Geschwindigkeit unserer Zeit. Die krasse Fülle von Information. Und damit komme ich zum untrennbar verbundenen Verhältnis zwischen Digitalisierung und Historiographie.

[NEOPOP] Vergleiche, Reflexe, Sanktionen: Abwägungen im Eifer des Gefechts

Vor ein paar Tagen bin ich mit einer Freundin in einen unerwartet intensiven Austausch geraten, der vielleicht solchen Situationen zueigen ist – was auch immer solche Situationen sein sollten: etwa Weltkriegsvorabende? Sie äußerte, dass sie gerade selbst überhaupt nicht wisse, was man machen könnte oder sollte. Im Eifer des Gefechts habe sie außerdem das Gefühl, in einem Meer unterschiedlicher Informationen, Meinungen, Denkwege und dazu noch begrenzter Verständnismöglichkeiten unterzugehen (Russisch, Ukrainisch). Was soll man dazu sagen? Mir geht es natürlich ähnlich. Ich meine nicht die Möglichkeit, sich an Soforthilfe für ukrainische Geflüchtete zu beteiligen, was jetzt sehr viele Freund:innen in Berlin und in ganz Europa tun und was ganz hervorragend ist. Ich meine, dass es jetzt darum gehen muss, zu verstehen, wie es soweit kommen konnte, und was dagegen zu tun ist. Ich versuche das über zweierlei Wege: erstens, indem ich andere Formen der Solidarität in Zuständen brachialer Gewalt betrachte, und zweitens über die Einbeziehung nicht-putinistischer Neopopulisten.

[Public Diplomacy] Conclusion: Turkish-Bosnian sibling cities and cross-border neo-populism (Part 9)

On this series: This blog post belongs to a series under the title and leading question „Can networks of local governments challenge the rise of cross-border neo-populism?“. The complete series are my contribution to an edited volume by Dr. Agata Rogoś, postdoctoral research fellow at Humboldt-Universität zu Berlin. Agata’s Edited volume’s working title is „Permeability... Continue Reading →

[Öffentliche Diplomatie] Der illiberale Rahmen für Gemeindepolitik in der Türkei (Teil 4/8)

Die Türkei ist ein zentralisierter Staat mit strengen vertikalen Hierarchien, die auf der ersten Verfassung von 1982 aufbauen, nachdem in Folge des Militärputsches von 1980 der politische Prozess des Landes zwei Jahre weitgehend eingefroren worden war. Die institutionellen Strukturen der letzten vier Jahrzehnte tragen die erkennbaren Spuren der Militärjunta -- und in der Tat, wie Ayşe Gül Altınay in ihrem bahnbrechenden Buch The Myth of the Military Nation (Altınay 2004) nachgezeichnet hatte, reichen die starken militaristischen Vermächtnisse in der Türkei bis in die späte osmanische Zeit, in die preußisch-osmanische Zusammenarbeit und die Anfänge der Republik zurück. Besonders aus Sicht vieler türkischer Perspektiven führte das lang anhaltende Intermezzo erfolgloser Versuche der Annäherung an den sogenannten Acquis Communautaire der EU, die in den 1990er Jahren an Fahrt aufnahmen, zu weit verbreiteter Frustration und Enttäuschung. Das türkische Anliegen einer Vollmitgliedschaft in der EU wurde wiederholt (und aus unterschiedlichen Gründen) zurückgewiesen. Dabei spielen der stockende Demokratisierungsprozess, die anhaltenden Verletzungen der Menschenrechte, der ungelöste Konflikt mit dem EU-Staat Zypern -- und nicht zuletzt der Kurdenkonflikt und die Leugnung des Völkermords an den Armeniern eine große Rolle. Darüber hinaus spielten auf der Bühne der öffentlichen Meinungen jedoch immer wieder auch Fragen der Identität, (Nicht-)Zugehörigkeit und Ausgrenzung eine Rolle, ob auf europäischer oder türkischer Seite -- wenn etwa die Europäizität der Türkei ganz in Frage gestellt wurde, oder türkische Politiker die EU als christlichen Club bezeichneten (Terzi 2012; "Die Türkei und die EU 2018"). Der lange Schatten all dieser Konflikte schwingt in der hierarchischen Verflechtung der territorial-administrativen Strukturen der Türkei mit -- und auch in der Art und Weise, wie die Beziehungen zu den Gemeinden auf dem Balkan hergestellt werden.

[Öffentliche Diplomatie] Türkisch-bosnische Geschwisterstädte und ein semantisches Problem mit ‚Populismus‘ (Teil 2/8)

Im Gegensatz zur Fülle von Studien zur Öffentlichen Diplomatie und zu Populismus im Allgemeinen gibt es bisher keine Studien zum Neopopulismus im bosniakisch-türkischen Kontext, wie er hier verstanden wird: Neopopulismus ist ein grenzüberschreitendes Phänomen, das mehr als eine nationale Öffentlichkeit anspricht. Um die relative Abwesenheit von Literatur zu diesem Thema zu erklären, sollte eine Sichtung ausgewählter Arbeiten zum Populismus hilfreich sein. Dabei behalte ich zwei Grundannahmen im Blick: Erstens kann (und sollte) der türkisch-bosniakische Neopopulismus, wie jede andere Form des zeitgenössischen Populismus, in einen viel breiteren, europäischen und sogar globalen Kontext des Aufstiegs illiberaler, populistischer Bewegungen eingeordnet werden. Dies ergibt sich allein schon aus der Tatsache, dass die medialisierte Öffentlichkeit in einem vorher nie da gewesenen Maß entgrenzt und kosmopolitisiert ist. Zweitens, und trotz der allgemeinen Probleme der Vagheit und des Dissenzes in den häufigsten Definitionen des Populismus (Vgl. Mudde & Rovira Kaltwasser 2017; Rosanvallon 2020), sollen die am häufigsten angenommenen Kernelemente des Populismus (Volk, Elite, Vox Populi, etc.) hervorgehoben werden, weil die Betrachtung dieser Begriffe helfen können, zu verstehen, warum das Konzept des Populismus sowohl eine passende, als auch problematische Kategorie in dem gegebenen, grenzüberschreitenden Kontext der Türkei und Bosnien ist -- und weshalb besser von Neopopulismus die Rede sein sollte, wenn beschrieben wird, was sich in diesem zunehmend entgrenzten Zwischenraum entfaltet.

[Öffentliche Diplomatie] Mit Städtediplomatie gegen den Neopopulismus? (Teil 1/8)

In diesem Beitrag werde ich die Möglichkeiten und Grenzen von Städtepartnerschaften, Städtediplomatie, Koalitionen von Gemeinden und zivilgesellschaftlicher Akteure als mögliche Lösungen für den globalen Aufstieg von Populismus und Neopopulismus diskutieren. Ich werde mich auf den Fall der türkisch-bosnischen (bosniakischen) Städte- und Gemeindepartnerschaften konzentrieren, die im gesamten Text als „Geschwisterstädte“ bezeichnet werden: Diese Metapher wird dem türkischen Begriff 'kardeş şehir', dem bosnischen Begriff 'pobratimlja' und der asymmetrischen, hierarchischen Beziehung dieser Arrangements besser gerecht. Diese neueren Formen von Städte- und Gemeindepartnerschaften weichen von vielen anderen, bekannten Beispielen ab – vor allem, weil sie von autoritären, rechten und neopopulistischen Akteuren dominiert werden.

[Public Diplomacy] „We will reappropriate our forefathers‘ lands“: the ruling party and the Balkans (Part 6/8)

The Turkish ruling regime's problematic use of a vocabulary that appears to be identical with that of many Balkan post-migrants manifests in one of the goals of the AKP's „Vision 2023“ on its official homepage. There, a collective „we“ announces that „we will (re-)appropriate the reminiscences of our forefathers“ („Atayadigârlarımıza sahip çıkacağız”), with the historical Old Bridge of Mostar in the background. The same totemic language is applied on the homepage of TİKA, the Turkish Cooperation and Coordination Agency: „Turkey appropriates the monuments of the Ottoman reminiscences in the Balkans“ (Türkiye Balkanlar'daki Osmanlı Yadigârı Eserlere Sahip Çıkıyor). In a similar vein, the reminiscence (yadigâr) is more frequently paraphrased by the notion of the „Ottoman heritage“ (Osmanlı Mirası): thus, figurative kinship relations to the Balkans (heritage) are constructed. This figurative kinship is also expressed in countless other public speech acts, where Bosniaks and Turks are regularly called siblings (kardeş) and relatives (akraba), regardless of their biographies. Similarly, Bosnia, Kosovo, or other places were often called „home“ or declared identical with Turkey by Turkish officials. These samples show that the understanding of the nation-state itself and its borders was widened by the AKP regime throughout the past years, characterized by the use of kinship-metaphores. Concomitantly, the existing and conflictuous questions of belonging, ownership, sovereignty and territoriality in the Western Balkans were even amplified. 

[Public Diplomacy] The illiberal framework for Turkish municipalities‘ scope of action abroad (Part 4/8)

The long shadow of all these conflicts resonates in the hierarchical interrelationship of Turkey's territorial-administrative structures – and also in the way how relations are established to municipalities in the Balkans. In this regard, one territorial-administrative feature of Turkey is crucial: the institution of the district governorate (kaymakamlık) and/or the governorate (valilik), whose main administrator, the governor, is called kaymakam or vali. The vali is widely regarded as the state’s extended arm into the city – and in fact, it can be seen as a parallel administration to the elected mayors' offices. The vali is directly bound to the centralized government in Ankara, and as such, it can bypass the electoral process, especially the local elections (Mahallî İdareler Genel Seçimleri). In this way, many local governments and municipal leaders who had been elected in the 2019 local elections were, in the meantime, forcibly dismissed and replaced by governors (vali / kaymakam).

[Public Diplomacy] Turkish-Bosnian sibling cities and a semantic problem with ‚populism'(Part 2/8)

The stress of the Ottoman past in the official Turkish actors' cultural initiatives is the reason why their activities have been classified cultural diplomacy from the very beginning of their visibility in the Balkans. The year 2009, when the first branch of the Yunus-Emre-Cultural Centers opened its doors in the Bosnian capital Sarajevo, can be seen as a first significant benchmark. However, Turkish culture and cultural diplomacy are not only promoted in direct and subtle ways by offical representatives of the Turkish state: from the point of view of soft power – which according to Joseph Nye needs to work subtly in order to be successful – the popularity of Turkish TV-series was (and still is) of enormous relevance. Especially the latter aspect implies that an understanding of the appeal of “Turkish culture” in the Balkans cannot solely be explained by studying the ruling regime's activities: much broader strata of the involved societies (e.g. TV consumers/prosumers in Bosnia and Turkey) and their various discoursive contexts are, as informal actors, involved in the process of cultural diplomacy.

[Public Diplomacy] Can networks of local governments challenge the rise of cross-border neo-populism? (Part 1/8)

In this contribution, I will discuss the possibilities and limits of town twinnings, city diplomacy and coalitions of mayors as possible solutions to the global rise of populism and neo-populism. I will focus the case of Turkish-Bosnian (Bosniak) town twinnings, which will be called sibling cities throughout the text: this metaphore better responds to the Turkish notion of kardeş şehir, the Bosnian notion pobratimlja, and the asymmetrical relationship of these arrangements. These recent forms of town twinnings are deviant from many other, well-known examples -- mainly for being dominated by authoritarian, right-wing and neo-populist actors. Populism, despite being a global trend, is often perceived as a phenomenon that occurs inside a given nation-state. However, cross-border coalitions of municipalities between Bosnia-Herzegovina and Turkey together form a polity beyond the level of national governments; at once, they remain being heavily shaped by the latter. Alongside with this phenomenon, a new form of cross-border neo-populism is emerging: unlike „classical“ populism, neo-populism addresses more than one populus (people).

[Public Diplomacy] The neo-right wing trend across Europe and Turkey: can coalitions of municipal leaders challenge populism?

In this contribution, I will discuss if political coalitions of liberal-minded local governments can challenge the rise of neo-right wing populism at the state level. I was intrigued and motivated by Sezin Öney's article from 24.12.2019, published in English on Gazete Duvar. [1] In her article, Öney comments on the recent alliance of metropolitan mayors... Continue Reading →

[Öffentliche Meinungen] Ein Erfolg für Wikipedia? Zensur und OSN in der Türkei

Nach 990 Tagen Zensur ist die Wikipedia wieder ohne VPN-Client in der Türkei zugänglich - was mich als Wikipedianer natürlich freut, aber besonders freut es mich für türkische Userinnen, die das als Teilerfolg gegen das nervöse Regime verbuchen. Die Wikipedia ist ein höchst „gefährliches“ Instrument, vor dem sich sich Regime fürchten, die ihre Wirklichkeiten lieber... Continue Reading →

[Turkey] Stating the obvious: Füsun Üstel wurde eingesperrt

Die emeritierte Professorin für Politikwissenschaft Füsun Üstel sitzt im Gefängnis. Ihr Verbrechen: wie mehr als 2000 Akademikerinnen hat sie im Januar/Februar 2016 eine Petition für Frieden und gegen Menschenrechtsverletzungen in Südostanatolien unterschrieben, die 2015/2016 dort begangen worden sind. Als ich 2017 an einem Workshop in einem geschützten Raum einer Istanbuler Universität teilgenommen habe, begann der... Continue Reading →

Website bereitgestellt von WordPress.com.

Nach oben ↑