[Geschichte] Bosnien 1992 – Ukraine 2022: Zivilgesellschaftliche Antworten auf den Krieg

Am 7. April 2022 hat ein Bündnis aus sieben Partnerorganisationen ein Diskussionspanel in Berlin veranstaltet, auf dem es sowohl um den Jahrestag des Kriegsausbruchs in Bosnien-Herzegowina vor genau 30 Jahren als auch um den Angriffskrieg des Putin-Regimes auf die Ukraine 2022 ging. Zusammen mit Vertreter:innen aus Zivilgesellschaft, Forschung und Politik haben wir über unmittelbare Formen der Solidarität mit der Ukraine gesprochen, aber auch über Erfahrungswerte aus Bosnien (in Berlin). Dabei haben wir auch über Unterschiede und Gemeinsamkeiten beider Kriege und ihrer Folgen über Grenzen hinweg diskutiert.

V.l.n.r.: Hannes Mattenschlager, Susann Worschech, Thomas Schad, Emina Haye, Olga Pischel. Bildquelle (Screenshot): Aldina Čemernica. Bildquelle (Hintergrundbild): Nicolas Moll.

Wie die Pilotveranstaltung der Reihe Grenzenlose Solidarität? im Januar 2022 fand die Veranstaltung auch diesmal wieder im Gemeinschaftshaus am Bat-Yam-Platz in der Neuköllner Gropiusstadt statt. Im Unterschied zum Januar waren die Hygieneregelungen erheblich gelockert, sodass auch vor Ort Gäste anwesend sein konnten. Zusammen mit der größeren Zahl von Online-Teilnehmer:innen waren wir zirka 72 Personen, was sowohl Hannah Marquardt vom Integrationsverein ImPULS e.V., als auch ich von Balkanbiro e.V. als Erfolg verbuchten.

Das Datum der Veranstaltung (7. April) war nämlich nicht zufällig gewählt: In Bosnien-Herzegowina (BiH) wird der Vortag, der 6. April, seit langem im Zusammenhang mit Krieg erinnert. Deshalb fanden besonders am Vortag eine Reihe anderer Veranstaltungen statt, wie zum Beispiel in der Heinrich Böll Stiftung mit der Fachkonferenz Bosnien-Forum 2022, an dem auch ich ganztägig teilgenommen hatte. Dort wurde außerdem die Ausstellung Wake up, Europe! eröffnet, die der Historiker Nicolas Moll vom Historischen Museum (Historijski Muzej) Sarajevo nach Berlin gebracht hatte (das Kommen der Ausstellung war im Januar durch Moll bereits angekündigt worden). Die sehr sehenswerte Ausstellung über europäische Solidaritätsaktionen während des Bosnienkrieges 1992-1995 wird dort in vielen unterschiedlichen Facetten beleuchtet und durch Originalmaterial illustriert. Trotz dieser und weiterer Parallelveranstaltungen, die sich weniger mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine beschäftigten als unser Panel, interessierten sich also dennoch zahlreiche Menschen für den überlappenden Kontext, den ich im Folgenden nur sehr kurz skizzieren will — ausgehend von Bosnien 1992. (weiter nach den Bildern)

Am Vorabend des 6. Aprils 1992 begann die Belagerung Sarajevos und die gezielte, über Jahre andauernde Zerstörung der Stadt mit zahlreichen Todesopfern. Erst mit dem Dayton-Abkommen 1995 ist es schließlich zum Abschluss eines Friedensabkommens gekommen, das sich jedoch fragil gestaltet: Bis heute trägt das Land nicht nur schwer an den sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Folgen des Krieges, dessen Wunden durch die andauernde politische Fragmentierung nie ganz verheilen konnten. Besonders im Laufe des letzten Jahres (2021) haben sezessionistische serbische Eliten (wie auch kroatische Nationalisten) alles daran gesetzt, den gemeinsamen, multiethnischen Staat BiH zu sabotieren – mit dem Ziel, ihn aufzulösen; immer häufiger und deutlicher ist deshalb in den letzten Monaten von der Gefahr eines erneuten Kriegsausbruchs die Rede.

Eine besonders wichtige Rolle in dieser Entwicklung spielt seit jeher Russland, das sich als Schutzmacht Serbiens und der serbischen Bevölkerung BiHs versteht. Das Putin-Regime hat sich wiederholt als enger Verbündeter für geschichtsrevisionistische, populistische Kräfte in Serbien und BiH hervorgetan und zuletzt sogar offen Drohungen an die Adresse westlicher Verbündeter des Gesamtstaates BiH ausgesprochen. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass der brutale, kriegerische Angriff des Putin-Regimes auf die Ukraine in BiH und in der weiteren Region für besonders große Beunruhigung gesorgt hat – bis hin zu Retraumatisierungen.

In dieser Situation haben wir gefragt, welche historisch-politischen Gemeinsamkeiten, Unterschiede und geopolitischen Zusammenhänge es zwischen dem Bosnienkrieg 1992-1995 und dem aktuellen Ukrainekrieg gibt:

  • Wie hat sich der Krieg langfristig auf die Menschen aus BiH ausgewirkt und mit welchen konkreten Befürchtungen und Hoffnungen blicken sie auf Europa, die Ukraine, Russland und ihre eigene Region?
  • Welche Rolle spielen heute ukrainische und bosnische Diaspora-Netzwerke, wie droht sich der Krieg auf das Zusammenleben auszuwirken und mit welchen künftigen Herausforderungen ist noch zu rechnen?
  • Welche Soforthilfe ist momentan angezeigt? Wie geht es den Menschen auf der Flucht, und welche Rolle nehmen Helfer:innen ein?
  • Wie sieht eigentlich die angegriffene ukrainische Zivilgesellschaft aus, wie setzt sie sich zur Wehr, was können wie von der bosnischen Zivilgesellschaft lernen – und wie lassen sich sinnvolle Bündnisse gestalten?

Als Historiker mit dem Schwerpunkt grenzübergreifender Neo-Populismus in Südosteuropa, der Türkei und der EU, Mitbegründer des Projekts Bosnien in Berlin und Koordinator bei Balkan:biro der Veranstaltungsreihe Grenzenlose Solidarität? habe ich das Panel moderiert. Auf dem Podium kamen Dr. Susann Worschech, Emina Haye, Olga Pischel und Hannes Mattenschlager miteinander ins Gespräch.

Dr. Susann Worschech ist Sozialwissenschaftlerin mit dem Schwerpunkt Ukraine an der Viadrina Universität Frankfurt (Oder). Sie forscht und publiziert über Zivilgesellschaft, Demokratieförderung und transnationale Netzwerke der Europäisierung  und ist außerdem Fraktionsvorsitzende der BVV-Fraktion von Bündnis 90 / Die Grünen Neukölln.

Emina Haye ist während des Krieges der 1990er von Bosnien nach Deutschland geflohen. Während ihres Studiums hat sie als freischaffende Dolmetscherin im Bereich der Psychotherapie für Kriegsflüchtlinge gearbeitet und verfolgt die Geschehnisse in der Ukraine aus der Sicht einer ehemaligen Geflüchteten. Momentan ist sie Dozentin am Lehrstuhl für Südslawistik der HU Berlin und Mitbegründerin des Blog- und Buchprojekts Bosnien in Berlin, wo sie sich mit dem Fortwirken der Kriegsgeschehnisse in der Gegenwart auseinandersetzt.

Olga Pischel kommt aus der Ukraine und lebt seit vielen Jahren in Deutschland. Sie ist Vorstandsmitglied der Stiftung Überbrücken, mit der sie mehrere Projekte zur Traumabewältigung in der Ukraine durchgeführt hat. Außerdem engagiert sie sich als Vorstandsmitglied des Städtepartnerschaftsvereins Steglitz-Zehlendorf für die Unterstützung der Zivilgesellschaft, Jugend- und Bildungsarbeit in Charkiw. 

Hannes Mattenschlager (22) ist Mitglied und ehemaliger Stiftungsratsvorsitzender von Schüler*innen Helfen Leben (SHL) und engagiert sich zurzeit ehrenamtlich in der Koordination der Ukraine-Nothilfe von SHL, die aktuell mit lokalen Partnerorganisationen in Czernowitz (Chernivtsi), Moldawien und Polen zusammenarbeitet. Er kann seine Eindrücke aus diesem Engagement mit uns teilen, aber auch vom Selbstverständnis einer Jugendorganisation berichten, die während der Jugoslawienkriege entstanden ist und sich auch für Betroffene des Syrienkriegs engagiert.

Als Projektpartnerinnen haben folgende Vereine und Institutionen zusammengearbeitet:

  • Balkan:biro e.V. (LINK)
  • ImPULS e.V. (LINK)
  • Stiftung Schüler Helfen Leben (LINK)
  • Stiftung Überbrücken (LINK)
  • Bosnien in Berlin (LINK)
  • Südosteuropa-Gesellschaft (LINK)
  • Humboldt-Universität zu Berlin (LINK)

Ein ausführlicherer Bericht sowie der Video- oder Audiomitschnitt folgen hoffentlich bald. Dafür ist gerade die Projekt-Seite der Veranstaltungsreihe Grenzenlose Solidarität? noch im Aufbau.

Auf der Seite Bosnien in Berlin hat Emina Haye inzwischen ihren Beitrag zusammengefasst und veröffentlicht ( L I N K ).

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