[Francorum] There is no there there, in Bamberg

Gertrude Stein ist unter anderem für diesen fantastischen Satz There is no there there berühmt geworden. Sie hat ihn produziert, nachdem sie nach langer Zeit nach Oakland zurückgereist ist: nicht einmal der Eukalyptusbaum und die Rosen waren noch so, wie sie früher einmal immer waren. Ich habe irgendwann früher darüber geschrieben.

Ein Nicht-Ort, ein Utopos: das Ganze ist ein Nostos Algos. Oder vielleicht auch eine Ex-Heimat.

Es muss schrecklich gewesen sein, für Stein.

Ein ganz schweres, schlimmes Hüzün (lest Pamuk) hat mich vorhin auch auf dem Weg hinauf zur Panzerleite (Panzerleite!) getroffen. Erst die ganze Luitpoldstraße entlang; dann über die alten Brücken und vorbei am Bamberger Dom.

Ich stelle mich hie und da hin, fotografiere Dinge wie den Dom, sage mir: Was machst du denn da, du bist doch kein Tourist, das ist doch Bamberg.

Überall um einen herum steht altes, fränkisches Gerütsch. Das sie sich erhalten und pflegen. Und natürlich auch — sehr erfolgreich — vermarkten: Weltkulturerbe.

Davon träumt unser Museumspark in Brandenburg gerade nur. Und wenn man sich das alte Gerütsch und Gemäuer hier anschaut, weiß man auch, warum: Hier sind sehr lange keine Bomben mehr vom Himmel gefallen (Betonung hier) — denkt man sich vielleicht finster, als es anfängt, leicht zu regnen.

Das Hotel erinnert an eines in Meran, wo auch alles war wie in den 80ern, sogar die Farben und die Gerüche. Hier in diesem Hotel bekommt man — zum Glück — noch einen echten SCHLÜSSEL in die Hand gedrückt. Er liegt schwer in der Jackentasche, kann und darf nicht verloren werden. Die Balkontüren des Zimmers lassen sich mit Hebebügel öffnen.

Das weiß ich, weil ich auf den Balkon gegangen bin, um zu telefonieren: um das Kind anzurufen, das jetzt ernsthaft VIERZEHN ist. Das kann doch nicht wahr sein! Seinen Geburtstag habe ich zehn Tage nach hinten erinnert (OK: ich habe ihn vergessen). Obwohl ich noch so haargenau weiß, wie das Kind Hund gesagt hat, als es noch nicht Hund sagen konnte, aber unbedingt wollte.

Hier werden auch echte Stadtpläne aus Papier verteilt.

Den Gästen wird hier vertraut: Minibar gibt es keine; aber man kann sich einfach am Schrank bedienen und dann nach Dafürhalten bezahlen.

Es gibt keinen Grund, an all dem irgendetwas zu verändern. Bloß nicht.

Aber man weiß: das alles ist ziemlich alt. Das glänzt nicht.

Dann gibt es natürlich auch hier Internet und Flachbildschirm (glänzt), und alle weiteren, glanzvollen Anzeichen der Veroberflächlichung sind immer anwesend. Alle Oberflächen glänzen seit mindestens 22 Jahren ohne Unterbrechung. Es wird mit Garantie keine Rolltreppe mehr gebaut, ohne, dass sie glänzt und neben Stahl unbedingt auch Glas dabei hat. Und nach Potsdamer Platz aussieht.

Dauernd kommen die Hochglanzzüge 45 Minuten zu spät (was aber zu wenig ist, um das Ticket reklamieren zu lassen, wie wir erfahren).

Das eine hat mit dem anderen zu tun (Glanz und Verfall), wobei niemand genau oder offen oder tief und ehrlich darüber reden will, was genau es ist.

Es ist nicht: Es WIRD erst noch. Und bestimmt wird es heftig, wie jetzt das mit dem Gas, dem Klima, den elenden Viren und diese ganzen Aggros mit den Masken und dass jetzt alle ständig über ihr Long Covid reden.

Außen hui, innen pfui vielleicht: das mit dem Glanz, wie sie in Franken sagen.

Das krasseste ist aber, dass nicht nur Bamberg, der Bamberger Reiter und das restliche, fränkische Gerütsch alt sind: eigentlich sind alle und alles alt.

Und ist man nicht selbst auch alt? Wie gesagt: Sogar die Jungen, die Kinder, die immer höchstens zwei, vier waren, sind recht alt. Die Welt ist alt. Es ist jetzt mehr etwas alt und vorbei als wenn es früher alt und vorbei war.

Aber das ist keine Nostalgie. Denn man will nicht dorthin zurück. Und das kann doch auch nicht sein, denn wie will ich kritisch über Nostalgie schreiben, wenn ich Nostalgie habe. Und hatte Svetlana Boym nicht auch Nostalgie?

Roger Willemsen — den ich so geliebt habe, wie man eben Hape Kerkeling, Gisela und Horst liebt (ganz besonders im Englischen Garten, wo sie mit Stefan Mross auf Geli und die Nackerten treffen), wenn auch viel ernster — hat ein Buch mit dem Titel Der Knacks geschrieben.

Das erste Kapitel hat mich total fertig gemacht. Darüber also jetzt nichts.

Aber im ganzen restlichen Buch befasst er sich weiter damit, dass vielleicht jeder einen Knacks hat, ohne zu wissen, wo und wann genau der Knacks war oder anfing, und ob es vielleicht wie ein Riss ist, von dem man aber nicht weiß, wie lange er sich wo genau zieht. Oder ob nicht vielleicht eher der Wurm drin ist.

Der Knacks hat sich heute aber, seit Franken, berstend bemerkbar gemacht. Und auf jeden Fall hat er auch mit Bamberg, Franken, mit dem fränkischen Dialekt (Sie wolln bestimmd zum Hodell?) und sogar mit den Backshops und dem Essen zu tun.

Damit, dass es unser äthiopisches Restaurant so nicht mehr gibt, hat es zu tun; damit, dass es nie mehr Auftritte von den African Beat Stars in einem Jugendclub am Rechten Regnitzarm geben wird; damit, dass wirklich niemand weiß, was eigentlich NEU sein soll.

Wie soll NEU auch aussehen, wenn es bestimmt nicht Hochglanz sein kann — denn das ist ja alt.

Am Ende fällt mir nur wieder ein, dass am Anfang der Satz von Gertrude Stein war:

There is no there there, in Bamberg.

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