Asmir Šabić aka Chaspa von BalkaNet e.V. aus München bzw. Minga — daher der Veranstaltungstitel Ming(r)a Talks — hat mich für Mittwoch, den 21.07.2021 um 20:00 Uhr als Moderator und Panelist zum Thema Geteilte Erinnerungen Ruanda 1994 / Srebrenica 1995 / München 2021 eingeladen. Die Veranstaltung soll im Saal des Münchner Stadtmuseums stattfinden, wird aber als hybride Veranstaltung auch Online im Stream zugänglich sein (Mehr Infos). Ich werde kurz vor und nach der Veranstaltung das Thema wieder aufgreifen, über die Veranstaltung berichten und hoffentlich neue Ideen verstricken. Im Moment bin ich aber wirklich sehr gespannt auf das Gespräch, dem ich natürlich nichts vorwegnehmen will.
Trotzdem möchte ich die Gelegenheit bereits jetzt nutzen, um an zwei Themen zu erinnern, mit denen ich mich in diesem Zusammenhang ohnehin beschäftige: einerseits einen eher bosnischen Aspekt, und anschließend will ich noch kurz etwas zum ruandisch-bosnisch-globalen Kontext und zur Geburtsstunde des (zumindest global) nie effektiv umgesetzten Human Security-Konzepts der 1990er Jahre bemerken. Letzteres ist auch als Erinnerung an mich selbst gedacht, um endlich einen seinerzeit schmerzhaft gescheiterten Essay über die immer brisantere Relevanz eines erweiterten, aktualisierten Human Security Konzepts zu vollenden. Im folgenden zitiere ich aber erst einmal den Ankündigungstext der Veranstalter mit den wichtigsten Infos, inklusive der eingeladenen Podiumsteilnehmerinnen:
Das kollektive Trauma eines Genozids überdauert Generationen. 27 Jahre nach dem Völkermord in Ruanda und 26 Jahre nach dem Völkermord in Bosnien gibt es in beiden Ländern, aber auch in der Diaspora, eine Vielzahl an künstlerischen und vermittelnden Erinnerungspraktiken. An diesem Abend sprechen wir mit Aktivist*innen aus den Bereichen Kunst, Musik, Theater, Literatur und Dokumentarfilm, die in Bosnien, Ruanda und Deutschland arbeiten. Welche Rolle spielt die Aufarbeitung von Belagerung, Krieg und Völkermord in ihrem eigenen Schaffen und allgemein in der Kulturproduktion der Kriegs- und Nachkriegsgesellschaften? Inwiefern kann Kunst bei der gesellschaftlichen Traumabewältigung helfen? Wie wird die Erinnerung und das Gedenken in der Münchner Diaspora gelebt? Und welche kollektiven Erinnerungspraktiken braucht die postmigrantische Münchner Stadtgesellschaft? Einige der künstlerischen Arbeiten werden im Rahmen der Veranstaltung gezeigt oder aufgeführt.
Münchner Stadtmuseum (Ankündigungstext)
Podiumsgäste und Veranstalter
Thomas Schad (Historiker, Autor) – bosnieninberlin.de
Jasmina Musić (Schauspielerin, Performerin, Autorin) – HER.STORY – jas-stage.academy/standorte/duesseldorf/team-duesseldorf/378-jasmina-music
Vernesa Berbo (Schauspielerin, Sängerin und Autorin) – The Common stories – vernesaberbo.com
Hope Azeda (Regisseurin, Autorin) – Mashirika Performing Arts and Media Company – mashirika.com/speakers/hope/
Konstantin Dupelius (Musiker und Komponist) – Shared Stories – konstantin-dupelius.de
Maja Zeco (Schauspielerin) – ““WAS HABEN WIR GELACHT”” – costumedesigner.me/majazeco
Denijen Pauljevic (Autor) – denijen.com
Asmir Šabić alias Chaspa (Musiker, freier Kurator) – u.a. balkaNet e.V. – balkanet.de
Moderation: Thomas Schad und Asmir Šabić
Veranstalter: BalkaNet EV // In Kooperation mit dem Münchner Stadtmuseum
Ruanda, Bosnien und Human Security
Wie Chaspa in der Programmankündigung durch die Verlinkung schon deutlich gemacht hat, beschäftigen wir uns als Redaktion des Buch- und Blogprojekts Bosnien in Berlin in einem sehr konkreten, aber weiten Rahmen mit den oben genannten Themen: welche Erinnerungspraktiken gibt es in der postmigrantischen (kosmopolitischen, superdiversen) Gesellschaft — in der es naturgemäß eine Vielheit von Erinnerungspraktiken und -Geschichten gibt? Welche Rolle spielen Erinnerungen und Erlebnisse im Zusammenhang mit Krieg, Genozid und „Weltverlust“ (Hannah Arendt) in den unterschiedlichen Lebensläufen und -Entwürfen — auch über Generationen hinweg? Daneben geht es in unserem Projekt natürlich auch um viele weitere Themen, die einen Zwischenraum zwischen dem deutschsprachigen Raum und Bosnien bilden — ausgehend vom Entstehungsort der Projektidee, nämlich Berlin; Bosnien ist hier, ebenso wie Berlin, nicht „nur“ als Bosnien-Herzegowina, sondern auch als Chiffre lesbar: für „Jugoslawien im Kleinen“, für das unbestimmte „dole“ (unten), das „područje“ (wörtlich: das Gebiet), für die „Jugosphäre“, für die postjugoslawischen Länder und wie auch immer sonst benannt und benennbar ist, was als abstrakte Chiffre für das Zusammenleben in Verschiedenheit stehen könnte.
Zweitens finde ich an der Veranstaltung spannend, dass Ruanda und Bosnien der 1990er in Beziehung gesetzt werden. Beide sind auch der Kontext, aus dem das scheinbar erkaltete Sicherheitsparadigma Human Security (Menschliche Sicherheit) der Vereinten Nationen geboren wurde. In diesem Konzept stehen Freiheit von Not und Freiheit von Furcht (Freedom from want and freedom from fear) im Vordergrund, wie es 1941 schon der US-amerikanische Präsident Roosevelt ähnlich formuliert hatte. Die sogenannte traditionelle Sicherheit wird hingegen als problematisch identifiziert: diese orientiere sich stets an der Sicherheit des Nationalstaats, was inhärente Unter-„(Un-)Sicherheiten“ beinhalte, wie das Prinzip der Souveränität und der Nichteinmischung von außen. Diese Prinzipien könnten sich ihrerseits zu Unsicherheitsfaktoren für alle verwandeln, die im traditionellen Rahmen des Nationalstaats nicht akzeptiert werden; sie könnten aber auch verbrecherische Akteure, die im Namen eines Nationalstaats morden und vertreiben, vor Intervention durch Andere schützen.
Beides hat sich sowohl in Ruanda, als auch in Bosnien-Herzegowina voll entfaltet: die sogenannte Internationale Gemeinschaft (Međunarodna Zajednica) — die in ihrer national organisierten Veto-Zerstrittenheit nie als Gemeinschaft aufgetreten ist — stand daneben und konnte so gut wie nichts tun. In Bosnien kann man noch heute an den Hauswänden hie und da das Graffito „UNforgiven“ lesen: es wird der UNO zum Vorwurf gemacht, dass es nicht zu einer effektiven und rechtzeitigen Intervention gekommen ist — auch wenn im Prinzip nationalstaatliche Einzelinteressen im Rahmen ihrer tradionellen Sicherheitsvorstellungen verantwortlich zu machen wären. Es ist jedoch weniger bekannt, dass es UN-Mitarbeiter wie Mahbub ul Haq waren, die aus dem Scheitern der Intervention und der Erfahrung des millionenfachen[1] Mordes — als Ergebnis des Deadlocks im Zusammenprall nationaler, traditioneller (Un-)Sicherheitskonzepte — das Konzept der Human Security entwickelten.

Betrüblicherweise wird man heute von Politikwissenschaftler*innen manchmal sogar belächelt und gar nicht wirklich ernst genommen, wenn man von der Dringlichkeit einer Überarbeitung des Human Security-Konzeptes spricht: man gilt als „naiv“ — und Sicherheits-Think Tanks lassen sich lieber weiterhin „traditionell“ beraten. Vor unseren Augen wird an überkommenen Sicherheitskonzepten festgehalten — obwohl ich immer noch hoffe, dass sehr bald ein Umdenken stattfindet. Im Moment jedenfalls sieht es so aus, dass sich die Vereinten Nationen dazu entschieden haben, eine „Strategie der 17 SDGs“ zu verfolgen: der sogenannten Sustainable Development Goals (Ziele für nachhaltige Entwicklung). Ich halte diese jedoch für eine unausgegorene, halbherzige, aus dem Kompromiss geborene Idee.
Als ich 2019 monatelang mit einer Recherchearbeit für eine App über SDGs in einem deutschen Kontext beschäftigt war, bin ich leider zum Schluss gekommen, dass sich hinter den erst einmal gut klingenden Nachhaltigkeitszielen ein verzweifelter Versuch des Es-allen-recht-machen-wollens steckt: dies wird offenbar, wenn man die Umsetzungsversuche unterschiedlicher Länder der SDGs miteinander vergleicht. Oft bedeuten die SDGs nicht vielmehr als ein Versuch der Schadenseindämmung, wobei „die Entwicklung“ im Prinzip nur etwas gerechter weitergehen soll. Für unseren Planeten genügt dies aber nicht, was angesichts des offenbaren, sicht- und spürbaren katastrophischen Progresses eigentlich auch inzwischen Allen klar sein müsste. Es kann einfach nicht mehr um „nationale Ziele“, „Entwicklung“ und „Wachstum“ gehen, sobald Klimasysteme involviert sind. Man wird keine bayerische Bienen retten, die kalifornischen aber zugrundegehen lassen können; es wird keine Inseln der sommerlichen Glückseligkeit geben können, während ein paar Kilometer weiter ein Tornado wütet, ganze Ortschaften eines reichen Industriestaates abbrennen und Menschen innerhalb weniger Tage zu Hunderten an der Hitze sterben. Es liegt eine schwere und doppelte Tragik darin, dass Human Security — bevor sie überhaupt zu einer Interspecific Security weiterentwickelt werden konnte — erneut scheitern will. Das bedeutet gar nichts gutes für viele Millionen von Menschen aus den (heutigen und künftigen) inhabitablen Zonen, die den Klimakriegen zum Opfer fallen werden.[2]

Fußnoten
[1] Im Fall Ruandas gehen die höchsten Schätzungen von bis zu einer Million Toter aus, in Ex-Jugoslawien liegen die Zahlen deutlich darunter. Die Zahlen sind in beiden Fällen umstritten, was ich hier nicht ausführen will. Zusammengenommen kann jedoch für eine Zahl ausgegangen werden, die bei über einer Million liegt. Weiterführende Literatur und Quellen zum Genozid von Ruanda und zum Bosnienkrieg finden sich über die hier verlinkten Wikipedia-Einträge.
[2] Damit knüpfe ich an die Klimakriege an, vor denen Harald Welzer (u.v.a.) bereits ausführlich und fundiert recherchiert gewarnt haben. Vgl. Welzer, Harald (2014): Klimakriege. Wofür im 21. Jahrhundert getötet wird. Frankfurt am Main: S. Fischer Verlag.

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