„We are arguing for this and for that“, hat Ulrich Beck in seinem letzten Buch das schwer zuzuordnende Treiben im Bereich der öffentlichen Meinungen der Gegenwart so nichtssagend wie trefflich kommentiert. Ein Beispiel für dieses „argumentieren für dies und für das“ — ohne, dass Klarheit darüber bestünde, was damit nun wirklich gemeint oder erreicht wird — bieten die öfffentlichen Bilder, öffentlichen Meinungen und Diskussionen über die Verwendung der Regenbogenflagge an oder in Fußballstadien. Aber ist es nicht eigentlich erfreulich, dass Regenbogenflaggen und das Thema der Akzeptanz, bestenfalls auch der umarmenden Toleranz, jetzt die Fußballstadien erreicht haben?
Einerseits: ja. Andererseits habe ich dabei ein flaues Gefühl: beim Sich-Versammeln unter der Regenbogenflagge, etwa auf einem Pride-Walk, wird für viele Teilnehmerinnen ein sogenanntes Communitas-Gefühl hergestellt. Das Communitas-Gefühl wurde von Arnold van Gennep als „liminales“ Geschehen und Teil eines „Rite de passage“ — eines Übergangs- oder Initiationsritus — beschrieben. Der Übergang findet statt von vereinzelter Ausgrenzung hinein in eine sichtbare, sich selbst wertschätzende und von anderen gewertschätzte, zumindest aber hinzunehmende Communitas. Diesen in einigen Fällen überlebenswichtigen Aspekt begreifen Außenstehende, nicht-liminale Menschen, oft gar nicht.

Doch welche Communitas soll eigentlich in einem Fußballstadion entstehen, das schon von den großen Fußballverbänden und den Geldmachern hinter der Inszenierung her rein männerisch ist — bis auf den heutigen Tag? Weiterhin: das männerische Fußballspiel, das so tut, als sei es Fair Play, wenn nach körperlich-geschlechtlichen Kriterien ‚Gleiche‘ gegeneinanderspielen, ist von Grund auf das Gegenteil der Communitas unter der Regenbogenflagge, wo sich Verschiedene treffen, und wo Verschiedenheit als Gut gewürdigt wird. Das Fußballspiel der Männer gegen die Männer — aber auch der Frauen gegen die Frauen — bedeutet soviel wie die Inszenierung des Patriarchats und seiner inhärenten, strengen Binarität.
So, wie man in der Nationalismusforschung — und der Begriff kommt aus Serbien/Ex-Jugoslawien — vom „Sich-Ereignen des Volkes“ (događanje naroda) schreibt, wenn sich die Massen zu sogenannten Meetings unter Nationalflaggen rotten, so könnte man vielleicht beim Fußballspiel vom „Sich-Ereignen des Patriarchats“ sprechen. Vielleicht stimmt es, dass sich das Patriarchat vielerorten grundlegend transformiert. Aber solange nur Männer gegen Männer spielen — und das hat mit der sozialen Wirklichkeit, geschweige denn einer Wirklichkeit, die unter Regenbogenflaggen stattfindet, NICHTS zu tun — inszeniert oder ereignet sich hier das Patriarchat.
In diesem Sinne finde ich es völlig unverständlich, wenn queere Menschen sich dazu hinreißen lassen, mit Regenbogenflaggen in ein männerisch gebautes, männerisch finanziertes Stadion zu gehen, um dem männerischen Treiben dort zu jubilieren, dass immer weitere Millionen und Milliarden in einen nach wie vor männerischen Gesamtbetrieb treibt; man denke nur an die UEFA und ihre Alphas, die wirken wie bockige Vertreter aus der Mitte des 20. Jahrhunderts. Nun muss das jede*r für sich selbst wissen: man darf natürlich diversen Schabernack treiben. Nur: für Communitas ist mir das absolut unausgegoren.
Abgesehen davon habe ich den Eindruck, dass auch nicht-queere Menschen die Regenbogenflagge verwenden, um gegen das noch schlimmere Patriarchat des Ostens (z.B. Ungarn) zu mobilisieren; und ich kann nur sagen: viel Spaß mit den Regenbogenflaggen in Russland oder Qatar. Vielleicht täusche ich mich, und alle Flaggenwedler*innen sind queer (wobei der Fußballer mit Armbändchen es nicht ist, aber das verdient gesonderte Betrachtung). Das ganze erinnert mich aber ehrlich gesagt trotzdem stark an die Appropriierung liberaler Themen durch Pop-Islamisten und Neo-Identitäre. Und dabei konnte ich noch kein positives Ergebnis beobachten.

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