Ima neka tajna veza ist der Titel eines sehr jugoslawischen Songs, den ich erst in den 1990er Jahren kennengelernt habe, zur Zeit des Bosnienkrieges, als immer mehr Kassetten und CDs aus der zerschossenen Jugosphäre zu uns kamen. Damals kam auch die blaue Bijelo Dugme CD. Der Song Ima neka tajna veza wurde auch, aber nicht nur von der vielleicht jugoslawischsten aller jugoslawischen Bands Bijelo Dugme (Dt. Weißer Knopf) interpretiert. Die Übersetzung lautet: Es gibt so eine geheime Verbindung. Erst viel später sollte ich denselben Song in seiner noch sehr viel schöneren Version von der jugoslawisch-bosnischen Ausnahmekünstlerin Jadranka Stojaković kennenlernen, die zu ihrem Karrierrehöhepunkt kurioserweise in Japan angetreten ist. Aber die tajna veza, die geheime Verbindung, die gab es schon lange vorher, wenn ich heute darüber nachdenke. Und diese tajna veza hat viel damit zu tun, sich hinzustellen, zu lachen — und trotzdem zu sagen.

Es gab immer eine geheime Verbindung zwischen meiner Mutter und mir, die mir gewissermaßen heilig war — obwohl sie genau genommen gar nicht geheim war: meine Mutter war damals die Ausländerin. Sie hat sich allerdings immer, zumindest in meiner Wahrnehmung, gegen das Ausländersein gestemmt, das in ihrem Ausschluss bestanden hätte. Gleichzeitig stand sie aber, zu all meiner frühen Verwirrung, auch noch vollkommen dazu, die Ausländerin zu sein. Trotzdem. Meine Mutter hatte sich nie bemüht, einen deutschen Pass zu erhalten, was damals auch gar nicht notwendig war: der jugoslawische Pass war ja gut, so wie er war. Mein Vater würde den jugoslawischen Pass meiner Mutter — so rot wie der deutsche — zwar immer versuchen, unter dem eigenen zu verstecken: es blieb ja ein Ausländerpass. An der österreichischen Grenze, auf dem jährlichen Weg nach Jugoslawien, der nach Thermoskannenkaffee und Salamibrötchen roch, hätten wir den Kofferraum aber sowieso öffnen müssen, wenn die Laune der Grenzer mies war. Und der Jugopass hatte theoretisch auch Vorteile: meine Mutter hätte sogar leichter in die Ostzone einreisen können als wir, mit unseren grünen, BRD-deutschen Kinderpässen. Sie würde es wenige Jahre später jedoch bereuen, sich nicht rechtzeitig vor dem Krieg um einen deutschen Pass bemüht zu haben: nicht nur Jugoslawien, sondern auch die Ostzone brach zusammen. Plötzlich verbot man ihr noch unverschämterweise, mit dem entwerteten jugoslawischen Pass — zu nichts mehr gut — nach Österreich zu ihren Schwestern zu reisen. In jener späteren Zeit, da wir plötzlich viele Autos hatten, lehrten uns die Eltern, wie man die immer lästigeren Polizisten auf ihrer Jagd nach Ausländern verscheuchte. Man dürfe sich bloß nichts gefallen lassen, denn die Behörden waren unverschämt genug. Einmal ragte ein Polizistenkopf über das Hoftor und rief in unser Inneres: Ist der Mirko da? Was sind das denn alles für Autos? — Nein, Herr Polizist. Für Sie heißt das: „Ist der Herr Stanarević da?“ Nein, ist er nicht. Tschüß.
Ima neka tajna veza Za sve ljude zakon krut Njome čovjek sebe veže Kada bira sebi put Sidro koje lađu čuva Da ne bude buri plijen Tone skupa sa tom lađom Jer je ono dio nje Ima neka tajna veza Tajna veza za sve nas Ima neka tajna veza Tajna veza za sve nas
Ich hatte vor kurzem ein Gespräch mit einer Freundin, die mir von ihrem Aufwachsen in einem — ich benenne es einmal im Vokabular der damaligen Zeit so, wie es damals hieß — Ausländermilieu weiter westlich in Deutschland aufgewachsen ist. In ihrem Fall bedeutete das, in einer türkischen Familie in Deutschland aufzuwachsen. Das war doch ein ziemlich anderes Milieu als das, in dem ich aufgewachsen bin, würde ich sagen — obwohl ich auch einige Ähnlichkeiten erkannt habe. Ich weiß ehrlich gesagt gar nicht, was unser Milieu war, denn Leute wie uns gab es eigentlich nicht: unser Vater war ja Deutscher. Wir Kinder hatten deutsche Namen. Wir waren als Kinder blond. Wir sprachen Deutsch, auch wenn ich diesbezüglich noch zu einigen angeblichen Makeln kommen könnte, die schlechte Lehrer feststellten und keine Übertrittszeugnisse ausstellten. Darin, dass ich als Kind immer kiša pada (es regnet), Kako si? (Wie geht’s?) und laku noć (Gute Nacht) sagen konnte, wird wohl kaum ein Makel gelegen haben können. Wir wären rein optisch und namentlich nicht aufgefallen. Wir hatten unsere Freundinnen und Freunde im Dorf, die allesamt deutsch waren — auch wenn man bei genauerer Betrachtung in heutigen (schon wieder umstrittenen) Worten vielleicht gesagt hätte, dass einige von ihnen durchaus auch Migrationshintergrund hatten: ihre Eltern oder Großeltern kamen aus Ausländern wie der Tschechoslowakei, Jugoslawien, Polen, Sowjetunion oder Rumänien.
So gesehen war der deutsche Teil unserer Familie — unser Vater, seine Mutter (unsere Oma), seine Schwester (unsere Tante) — also auch von Migrationshintergrund: unsere Oma kam aus der Ukraine, ihr Vater war Pole, aber spurlos nach Sibirien verschleppt und weiterhin verantwortlich für den polnischen Familiennamen. Unserer Oma dicke Mutter, die Dickuroma, war deutscher Abstammung, die Vorfahren waren kaiserlich aus Baden nach Russland gewandert. Unser Vater wusste diesen kaiserlichen Migrationshintergrund nicht zu würdigen, denn damals wurden Herkünfte von außerhalb generell herabgewürdigt: sie galten als Makel — und der Makel wurde umso größer, je weiter er in den Osten reichte. Deshalb hat er auch die Schwestern seiner Mutter, unsere zahlreichen Großtanten, mehr als einmal als Russenweiber verächtlich gemacht. Er hatte diesen Makel also verinnerlicht. Man hielt ja damals alles, was Sowjetunion war, für Russland. Und der Russe war der Feind, besonders am Zonenrand. Wenn der Ivan kommt. Wieso schaut ihr schon wieder Zonenfernsehen. Slawische Sprachen waren doch alle irgendwie russisch: dort hießen die Leute doch auch Ivan, und wer damit eingefärbt war, würde doch bestimmt einen Makel haben, wenn man nur genau genug hinsah. Bei uns kamen immer alle aus dem Osten. Laku noć Herr Lehrer, kako si? Kiša pada.
Kinder wissen erst einmal nichts über Ostzonen und derlei Kategorien, bis man sie damit misstraut macht und entzweit. Das Wort Ausländer war mir jedoch früh bekannt, und ich weiß nicht mehr, woher es zuerst kam. Es war jedenfalls da — und es war kein schönes Wort. Bildlich erinnere ich meine erste Erinnerung mit einem Bild der Tagesschau, die wir schon als kleine Kinder täglich mit unserem Vater sahen, zum Beispiel, bevor er zu seiner Spätschicht in die Fabrik aufgebrochen ist. Er würde bereits in seinen weinroten Sandalen vor dem riesigen Fernsehkasten sitzen, um direkt danach ins Auto zu steigen und zum industrieschweißen zu fahren. Solange, bis er bald krebskrank heimkehrte. Damals standen in der Tagesschau die anonymen Ausländer jahrelang in einer Schlange hinter metallischen Problem-Absperrungen. Ungebeten warteten sie auf ein Amt, dem sie zur Last fielen. Sie hatten schwarzes Haar, waren farblos gekleidet wie Arbeitslose, und das Schlangestehen hinter der Absperrung sagte Problem. Sie standen da bis mindestens 1993 — da war der Ruf ganz gar, denn da wurde das Asylgesetz abgeschafft. Asylkompromiß. Das Wort Ausländer blieb.
Während unser Vater in die Fabrik ging, gingen wir Kinder in den Kindergarten, und dieser war in einem anderen Dorf. Die Frauen, die damals allesamt Hausfrauen waren, bildeten Fahrgemeinschaften, und so sammelten sich ihre Kinder jeweils bei einer abwechselnden Mutter, wo sie darauf warteten, bis man ins Auto stieg, um loszufahren. Eines Tages warteten wir bei uns im Hof. Wir probierten das Trockenfutter aus dem Kartonsack für unseren Hund. Alles war gut. Doch die eine sagte jetzt auf einmal immer wieder, unsere Mutter würde gar nicht Thomas und Daniela sagen: sie sagte angeblich immer Tommas und Dannijella, wie sie dümmlich äffte. Thomas und Daniela widersprachen: wie sie nur auf so einen Scheiß käme? Sie triumphierte: Na, eure Mutter ist doch Ausländerin! Insofern Kinder Miststücke sein können, wollte sie uns herabwürdigen. Wir checkten das. Aber unsere Mutter: Ausländerin?
Ich wollte mir das keinesfalls gefallen lassen. Als meine Mutter mit dem Zündschlüssel in der Hand kam, um uns endlich in den Kindergarten zu fahren, ging ich direkt zu ihr hin, um zu petzen: Die Manwela sagt, du bist Ausländerin!! Zu meiner Verblüffung lachte meine Mutter und sagte: Natürlich bin ich Ausländerin! Was hast du denn gedacht? Na klar, ich komme doch aus Jugoslawien, ich bin Ausländerin! Deine Baba Verka ist Ausländerin! Ich bin freilich Ausländerin! Ab da wusste ich, dass es nicht mit rechten Dingen zuging, wenn irgendjemand mit der Bezeichnung Ausländerin verbellt werden sollte. Es war normal, dass meine Mutter Ausländerin war. Sogar die Baba Verka war also Ausländerin. Ich glaube, ab da wollte ich immer lieber ausländisch sein. Irgendwann taten mir die armen Kinder leid, deren Onkel einfach Heiner hießen, der allerhöchstens bei Schweinfurt wohnte: was hatten sie zu erzählen? Ich würde es, zumindest heute, nicht Stolz nennen — denn Stolz sollte es überhaupt nur vorsichtig dosiert, und nur unter dem Regenbogenbanner geben. Es war das vielleicht „bosnische“ trotzdem, eine Art des Inat, den ich damals umarmte: du kannst dich hinstellen, du lachst und sagst natürlich, selbstverständlich, trotzdem. Erinnere dich nur deiner tajna veza — deiner geheimen Verbindung:
Es gibt so eine geheime Verbindung Für alle Menschen firm' Gesetz An sie bindet sich der Mensch Wenn er seinen Weg wählt Ist der Anker, der das Boot beschützt Dass es nicht der Bura Beute fällt Er geht unter mit diesem Boot Weil er Teil von ihm ist Es gibt so eine geheime Verbindung Eine geheime Verbindung für uns Alle Es gibt so eine geheime Verbindung Eine geheime Verbindung für uns Alle Und über die tajna veza, nämlich die Jugokassetten, gäbe es noch einiges hinzuzufügen.
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