Noch mal was ganz anderes, eher banales zum Thema Rückkehr der Geschichte bzw. Es fängt schon wieder alles genau so an wie in den 1990ern. Ich will mich kurz über bestimmte, besorgniserregende Musik-Tendenzen echauffieren, von denen ich zugegebenermaßen A) gar keine Ahnung habe, und B) auch wirklich nichts weiter wissen will. Ich beginne den sogenannten Rant, wie heutzutage so eine Art einseitiger Beef genannt wird, mit einem kurzen Rückblick in das fast durch und durch hässliche Jahrzehnt der 1990er Jahre, in denen ich adoleszent sein musste.
Natürlich gehörte ich damals — rein objektiv betrachtet — immer zu den Coolen und hörte Nirvana. Aber zum Beispiel auch Dr. Alban, was zugegebenermaßen sehr grenzwertig und nah am sogenannten Eurodance oder Dancefloor gebaut war. Aber irgendwie war er auch sehr gut und spielte eher in einer Liga mit z.B. Roxette, trotz der riesigen Genre-Unterschiede: Hello Africa (tell me how you do‘) war zum Beispiel meine erste oder zweite sogenannte Single-CD — so etwas gab es damals noch — und sie befindet sich noch heute irgendwo in den Tiefen des fränkischen Ego-Archivs. Featuring Leila K.
Beastie Boys, Rage Against the Machine (the best band of the world!), Bob Marley — nur, um noch ein paar weitere Namen zu nennen, die alle sehr gut sind und meine adoleszenten 90er Ohren beschallten, für mich aber trotzdem nicht für die 90er stehen. Nirvana hatte ich besonders „während Corona“ wieder oft in den Ohrstöpseln und dachte daran, dass damals eigentlich alle ständig unbedingt nach Seattle reisen wollten. Come As You Are. All Apologies. Everyone is gay.
Daneben war ich — wie könnte es bei einem Garip auch anders sein — ein extrem merkwürdiger Teenager, der von seinen Lehrern gefürchtet wurde: zum Beispiel hörte ich auch ziemlich viel merkwürdige Jugo-Mukken, sammelte nordafrikanische Raï-Kassetten aus Frankreich, ging in die amerikanische Rap-Disko, trug zur Provokation der Mit-Gymnasiastinnen aus ihren Klassik-hör-und-spiel-Familien — Ömmes wie siehst du denn schon wieder aus — Goldkettchen, Knöpf-Jogginghose und hielt in geschlossenen mitteleuropäischen Räumen meinen Kopf bedeckt, und zwar mit einer als nicht-mitteleuropäisch empfundenen, runden Mütze (ohne Schild) — und zwar jahrelang, wie es sich für Mitteleuropa nicht geziemt, und das möchten wir auch nicht. Doch, genau das mochte ich — und etwas anderes zu mögen, mochte ich mir halt noch nie vorschreiben lassen. That won’t happen.
Und so weiter.
Bei uns kursierte damals ein T-Shirt mit dem Aufrduck Gib TECHNO keine Chance, und das sehe ich heute etwas anders, genau wie meine Verachtung für europäische klassische Musik. ABER — was ich mir wirklich zugute halten muss: abgesehen vom grenzwertigen Dr. Alban habe ich N I E bei dem übelsten, grottigsten sogenannten Dancefloor-Trash mitgemacht, der damals aus jeder Hi-Fi-Anlage mit Fünffach-CD-Wechselteller und Doppelkassettendeck Geräuschschmutz auswellte.
N I E !
Und jetzt ist es so, dass ich an mir gewisse Verspießungstendenzen beobachte, die mir durchaus auch Sorge bereiten — wobei ich einigermaßen ratlos bin, denn ich scheine andererseits auch voll und ganz hinter mir zu stehen: ich laufe zum Beispiel oft über das Tempelhofer Feld und merke, wie mir noch zum friedvollsten Sonnenuntergang der Zorn steigt, weil die damaligen Hi-Fi-Anlagen in Gestalt irgendwelcher transportabler Miniboxen wiederkehren, bis in den hintersten Steppenabschnitt des Tempelhofer Feldes. Diese Boxen sind zwar viel kleiner, dafür aber wirklich überall, und dabei gleichzeitig viel lauter als die primitive Technik der 1990er. Na gut, wenn man einmal vom Marshall E-Gitarrenverstärker absieht, mit dem wir das Dorf einmal zu seinem Unglück indisch beschallten — um zu sehen, wie lange es dauern würde, bis sie jemanden vorbeigeschickt hätten, bis es Gebrüll gäbe — und schnell kam ein Choleriker herangeschlurft.
Ich weiß wirklich nicht, was das für eine „Musik“ ist, diese Musik, die bei mir so ein tiefes Unbehagen auslöst, und wie man sie eigentlich nennt. Ihre Anhängerinnen pflegen dazu offenbar auch das seltsame Ritual, sich in jugendlichen Reigen in einen Kreis zu stellen, wobei in der Mitte und überall außen herum Sekt- und Wodkaflaschen stehen, die dann (wie zuletzt beobachtet) von einer jungen, rohrvollen Frau in hellblauem Glitzerkleid (Pailletten, iiigitt) vertikal in die Höhe geworfen werden, wobei das Ziel des Rituals darin zu bestehen scheint, dass die Flasche auf dem Betonboden aufprallt und in Millionen Stücke zerprasselt, von denen jedes Einzelne gut in die Furchen eines Fahrradreifenmantels — oder auch zwischen Medos Hundepfoten — passt. Zu diesem Ritual wird also diese Musik gehört.
Ich bekomme anscheinend wirklich gar nichts mehr mit. Aber mir scheint, dass gewissermaßen die 99-Pfennig-Shops der Musikindustrie hinter diesen namenlosen Trash-Wellen stehen. Und — was also tatsächlich das Allerschlimmste ist: diese Schallwellen erinnern wirklich sehr, sehr stark an den Dancefloor-Trash der 1990er Jahre. It is safe and SOUND to say (as my most beautiful and missed American friend would perhaps put it), dass die 1990er jetzt zurück sind.
Leute. Nehmt Euch also bitte in Acht. Passt gut auf Euch und Eure Liebsten auf. Meidet bestimmte Menschenkonstellationen — wobei ich stark dazu raten würde, nach Äußerlichkeiten zu gehen (Glitzerpailletten, Trash-Wellen, Sekt- und Wodkaflaschen,…).
Denn: die 1990er sind zurück.
L’inspiration, c’est la force divine — nur das Divine[1], das ist ihnen abhanden gekommen.
PS: Free Britney!
[1] Als ich diesen Satz schrieb — er entstand zuerst auf Facebook — dachte ich gar nicht an Divine, über den es den wunderbaren Film I am Divine gibt, den ich auf Arte gesehen habe (leider nicht mehr in der Mediathek). Daran hat mich Sare in ihrem Kommentar erinnert: vielen Dank!!! Divine ist bereits vor den 90ern gestorben (1988), repräsentiert insofern gewissermaßen die Nicht-90er.
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