Wenn der weite und über weite Strecken unbelehrbahre Verlauf der Beziehung zwischen konformistischen CSU-Männern und Bäumen nicht tragisch wäre, dann könnte man eine aktuelle Headline mitsamt Teaser und Bild von Markus Söder im Spiegel (Spiegel 19/2021 vom 8.5.2021) auch als schalkhafte Posse verstehen: da präsentiert sich ein CSU-Mann doch tatsächlich als Baumfreund. Ich sehe darin eine extrem gelungene, symbolträchtige und zeitgeistige Machtdemonstration eines sogenannten uomo virtuoso (tugendhaften Mannes), und zwar ganz genau in dem Sinn, wie Niccolò Machiavelli es formuliert hat. Der „tugendhafte Mann“ — was heute meiner Meinung nach zurecht sehr veraltet klingt — strotzt nur so vor virtù, was in etwa mit „Tugend“ zu übersetzen wäre, obwohl in dem Wort über seine lateinische Wurzel etwas stark männliches steckt: der vir ist nämlich der Mann; der Türkischsprecherin, die das vielleicht schon immer etwas ungerecht fand, wird sich gleich die Analogie zur Wendung adam gibi offenbaren: wörtlich „wie ein Mann“, sinngemäß aber „anständig“ — aber das nur am Rande. Die genaueren Eigenschaften der von Machiavelli formulierten, „männlichen Tugend“ bestehen aus ambizione (Ehrgeiz), necessità (Notwendigkeit) und occasione (Gelegenheit). Letztere dürfe der Fürst — und Machiavelli schrieb zur Zeit der italienischen Renaissance, welche eine Zeit extremer politischer Krisen war — sich nicht entgehen lassen. Er müsse sie beim Schopfe packen und dürfe dabei weder vor Grausamkeiten noch vor Barmherzigkeiten zurückschrecken, wobei er auch noch zur gezielten Förderung und Nutzung der Religion rät, deren instrumentellen (bzw. instrumentalisierbaren) Charakter er aber andererseits auch schonungslos offenlegte; nicht zuletzt dadurch hat er sich die katholische Kirche besonders post mortem zum Feind gemacht und einen sagenhaft schlechten Ruf eingefahren.
Wenn der weite und über weite Strecken unbelehrbahre Verlauf der Beziehung zwischen CSU-Männern und Bäumen nicht tragisch wäre, dann könnte man eine aktuelle Headline mitsamt Teaser und Bild von Markus Söder im Spiegel (Spiegel 19/2021 vom 8.5.2021) auch als schalkhafte Posse verstehen: da präsentiert sich ein CSU-Mann doch tatsächlich als Baumfreund. Ich betrachte es jedoch nicht als Posse, sondern sehe darin eine extrem gelungene, symbolträchtige und zeitgeistige Machtdemonstration eines sogenannten uomo virtuoso (tugendhaften Mannes), und zwar ganz genau in dem Sinn, wie Niccolò Machiavelli es formuliert hat.

Der „tugendhafte Mann“ — was heute meiner Meinung nach zurecht sehr veraltet klingt — strotzt nur so vor virtù. Dieses Wort wäre in etwa mit Tugend zu übersetzen, obwohl in dem Wort über seine lateinische Wurzel etwas stark männliches steckt: der vir ist nämlich der Mann. Die genaueren Eigenschaften der von Machiavelli formulierten, männlichen Tugend bestehen aus ambizione (Ehrgeiz), necessità (Notwendigkeit) und occasione (Gelegenheit). Letztere dürfe der Fürst — und Machiavelli schrieb zur Zeit der italienischen Renaissance, welche eine Zeit extremer politischer Krisen war — sich zum Wohl der res publica nicht entgehen lassen. Er müsse sie beim Schopf packen und dürfe dabei weder vor Grausamkeit, noch vor Barmherzigkeit zurückschrecken. Außerdem riet Machiavelli zur gezielten Förderung und Nutzung der Religion, deren instrumentellen (bzw. instrumentalisierbaren) Charakter er dadurch auch schonungslos offenlegte; nicht zuletzt dadurch hat er sich die katholische Kirche besonders post mortem zum Feind gemacht. Wegen seiner unverblümten Art der frühen Politikberatung eilt Machiavelli bis heute ein sagenhaft schlechter Ruf voraus.
Nun schreiben wir heute nicht die oberitalienische Renaissance, sondern den menschgemachten Klimawandel. Trotzdem sind die Begrifflichkeiten aus Machiavellis frühneuzeitlicher Politikberatung nach wie vor aktuell, denn Politiker*innen jeden Farbspiels wenden seine Strategien an. Dies will ich in diesem Beitrag mit Söders Griff nach dem Klimabaum zeigen — und damit zunächst zur Headline. In ihr wird eine starke, explizite Klima-Metapher verwendet, die gewissermaßen die occasione des Markus Söder im Ganzen inkapsuliert:
„Klimawandel in der Union: Werden CDU und CSU jetzt grün — oder ist das nur Wahlkampf?“
Der Spiegel 19/2021 vom 8.5.2021
Der Teaser setzt den Kontext:
„Nach dem Urteil aus Karlsruhe muss die Regierung ihre Klimaziele verschärfen – und tut so, als sei das schon immer ihr größter Wunsch gewesen. Plötzlich soll gehen, was bisher unmöglich schien.“
Der Spiegel 19/2021 vom 8.5.2021
Natürlich geht es in dem Artikel, das erschließt sich jeder regelmäßigen Zeitungsleserin von selbst, um den Warnruf aus Brüssel, Deutschland sei mit seinen Klimazielen hinterher. Doch das eigentlich bemerkenswerte ist das Titelbild, und nur auf dieses kommt es mir an: der Inhalt des Artikels, der sich hinter einer Paywall befindet, braucht uns hier nicht weiter zu interessieren. Mir scheint, dass jedes kleine Detail an diesem Bild mit großer Sorgfalt durchdacht wurde: darauf zu sehen ist Markus Söder von der CSU, der sich unter allen Alphaleuten der Union seit dem Ausbruch der Pandemie in Deutschland als „der Macher“ hervorgetan hat. Auf dem Bild steht er in einem dunkelblauen Jacket, darunter ein weißes Hemd ohne Krawatte, dazu eine dunkelblaue Hose, die nicht wie eine Anzughose aussieht und dem Bild einen casual touch verleiht. In schwarzen Lederschuhen steht er, der Zupacker, auf einer Wiese in einem fast leeren Park, das Wetter ist sonnig. Er steht parallel zu einem Baumstamm, den er mit beiden Händen umgreift wie einen geschätzten Partner: als würde er zur Umarmung eines politischen Freundes, eines Bürgers, und höchstwahrscheinlich eines Kerls ansetzen — was vielleicht eine umso auffälligere Geste ist, da zwischenmenschliche Umarmungsbilder in der Pandemie für Politiker eine Ungeste sind: sie kommen nicht nur nicht gut an, sondern sind sogar untersagt — wobei natürlich nicht unwesentlich ist, dass Söder selbst die Kontakteinschränkungen verkündet hat. Söder steht genau parallel zum Baum, er ist leicht seitlich im Profil fotografiert. Es wirkt, als würde er sich eigentlich dem Baum zuwenden, und nur für die Aufnahme des Fotos den Kopf zur Kamera drehen. Eine gespielte Szene: Markus Söders Griff nach der occasione.
Vom Baum, dessen Stammumfang optisch ungefähr der Leibesfülle von Markus Söder entspricht, ist nur der untere Teil zu sehen. Es ist zu sehen, wie der Stamm in die grüne Wiese übergeht — nicht jedoch die Äste, Zweige und Blätter. Die Baumart ist schwer bestimmbar: es könnte sich um eine Konifere handeln, es könnte aber auch ein Laubbaum sein. Sicher ist nur, dass sich der Baum von den anderen Bäumen im Bild unterscheidet, bei denen es sich um Platanen handelt. Es mag sich um eine Spitzfindigkeit meinerseits handeln, auch die übrigen Bäume in die Betrachtung miteinzubeziehen — aber ich will es darauf ankommen lassen.


Platanen wachsen in ganz Deutschland ohne Einschränkungen durch die winterliche Kälte zu stattlichen Bäumen heran. Dennoch handelt es sich bei Platanen um Bäume, die immer ein wenig eingeführt, angepflanzt wirken. Manchmal sind sie regelrecht durch „Schnitt“ verstümmelt und erinnern dabei an die Champs-Élysées oder provenzalische Marktplätze: Platanen sind keine Waldbäume, sondern typische Parkbäume, die in Deutschland erst im 18. Jahrhundert eingeführt worden sind. Als nur eingeschränkt winterharte, mythenumrankte, Morgenländische Platane (Platanus orientalis) kommt das oft zu riesigen Brocken auswachsende Wesen ursprünglich zwischen östlichem Mittelmeergebiet und Himalaya vor; als winterharte, amerikanische Platane (Platanus occidentalis) stammt sie aus Nordamerika, und als in Deutschland häufige Hybride beider wird sie Ahörnblättrige Platane (Platanus x acerifolia) genannt und ist in Mitteleuropa winterhart. Platanen sind leicht zu erkennen, denn sie schälen ihre Borke ab, so dass sich der Stamm quasi nackt präsentiert.

Der Baum, den Markus Söder umarmt, ist von einer anderen Sorte — und diesem Baum geht es ganz eindeutig schlecht: auch er verliert Teile seiner Borke, doch er wirkt dabei krank und erinnert an die vielen bereits abgestorbenen Bäume, die der Dürre und Hitze der letzten Jahre zum Opfer gefallen sind. Dies stellt eine Wiedererkennbarkeit dar: in Unterfranken etwa gibt es inzwischen zusammenhängende Gebiete, wo sich in der Vegetationsperiode böse, braune Streifen durch die Wälder ziehen. Die Leichen dieser Bäume sind so zahlreich und so ansteckend, dass sie massenhaft gestapelt werden und in Holzquarantäne kommen. Sie sind Opfer des Klimawandels, der sich nun also, laut Spiegel, vielleicht auch in der Union andeuten soll. In der Wiedererkennbarkeit dieses kranken Baumes liegt ein kluger, effektiver Schachzug: das CSU-Elektorat, das seine Bäume im Alltag leiden sieht, wird nicht nur sensibilisiert. Es wird suggeriert, der CSU-Mann nähme sich nun der kranken Bäume an.


Doch gehen wir weiter ins Detail. Nichts an dem Bild scheint dem Zufall geschuldet. Markus Söder soll stämmig, urwüchsig, geerdet, als „Mann wie ein Baum“ und gleichzeitig als Freund der Bäume herüberkommen — und genau das gelingt dem gestellten Bild auf den ersten Blick gut. Söder wirkt von seinem Habitus massiv, dabei nicht übergewichtig und geerdet, und so wird ihm am ehesten zugetraut, den Karren aus dem Sumpf zu ziehen. Doch das Bild transportiert nicht nur visuelle Wiedererkennungseffekte, sondern evoziert den häufig in den Medien zu hörenden Klang Söders. Und Söder kann man zuhören: trotz — oder vielleicht sogar wegen? — seines mittelfränkischen Dialekts, der klanglich schon Anleihen an den noch erdigeren, stets selbstbewusst vorgetragenen, bairischen Dialekten nimmt, die ihrerseits jedoch oft so bäuerisch klingen, als habe der Bauer gerade erst seine Mistgabel zur Seite gestellt und zu sprechen angesetzt. In der ausgeprägten, geschmacklichen Unverträglichkeit zwischen Ober- und NiederdeutschsprecherInnen gereicht ein solch prestigeloser Dialekt ansonsten nicht unbedingt zum Vorteil: ein bayerischer Bundeskanzler ist für viele preußisch geprägte Menschen ein höchst unerwünschtes Szenario.

Nun mag andererseits gerade diese Klangkulisse der Stimme die Stämmigkeit des Söder’schen Habitus vervollständigen. Doch vor allem liegt seine Stämmigkeit darin begründet, dass er rhetorisch und berufspolitisch ein absoluter Vollprofi ist: Söder schwafelt nicht. Im Verlauf der Pandemie und der unternommenen Maßnahmen hat er viele Dinge ohne Umschweife beim Namen genannt und so konkret „angepackt“, dass es offenbar auf viele Menschen vertrauensstiftend wirkte. Ich habe den ersten Lockdown zum größten Teil in Bayern verbracht, wenn auch im allernordwestlichsten Rhönzipfel Unterfrankens, wo man aus dem Fenster blickt und Hessen vor sich sieht; wo die Vermieterinnen fast schon fernsehhessisch sprechen. Doch diese Randlage änderte natürlich nichts an der Gültigkeit der bayerischen Kontaktbeschränkungen, deren Aktualisierungen per Live-Schalte übertragen und vorher angekündigt wurden.
Eines pandemischen Tages saß ich mit meiner Schwester am Smartphone, während das Kind einmal ruhig zu sein hatte — denn Markus Söder sprach, und es war ja zweifellos für uns alle von Belang, was jetzt zu tun und was zu unterlassen sei. Es herrschte leichtes Katastrophen-Feeling in jenem extrem sonnigen Coronafrühling 2020. Man muss sich vor Augen halten, dass niemand auf die Pandemie vorbereitet war, sodass viele Menschen wahnsinnig ins lavieren geraten sind: soll man jetzt sogar im Auto Masken tragen — oder ist vielleicht sogar ganz von Masken abzuraten? Wie unterrichten wir eigentlich unsere stay-home-Kinder — wenn das halbe Lehrerkollegium digital analphabetisch ist? Sollte man joggen und wandern gehen dürfen — oder ist sogar das zu gefährlich? Die besondere Stimmung jener Zeit war, besonders im Nachhinein betrachtet, ganz außergewöhnlich still: so still, dass sich im Ort meiner Schwester sogar am hellichten Tag mitten im Ortszentrum ein furchtloser Biber zeigte. In dieser Stimmung also, während der Biber im gleißenden Sonnenschein in der Sinn neue Habitatmöglichkeiten erkundete, sprach Söder, und er wirkte dabei ausgesprochen souverän. Er geriet nicht aus der Contenance, und der Duktus seiner Sprechakte klang versichernd.
Und Versicherungen waren genau das, was die verunsicherte Bevölkerung hören wollte. Man muss zudem bedenken, dass aus allen möglichen Ecken — angefangen beim amerikanischen Trash-Präsidenten über den ungekämmten Boris Johnson bis hinunter zum Lump Bolsonaro aus Brasilien — Scharlatanerie und demagogische Hetze züngelten. Auch aufgrund dessen erwischten meine Schwester und ich uns dabei, wie wir feststellten, dass Markus Söder seine Rolle durchaus souverän spielte. Auch ohne politische Zustimmung zu seiner weiteren Weltsicht halte ich das auch heute noch für eine probate Feststellung, die man fairerweise einräumen soll: er kann was. Zumindest kann er das, was er in der Logik seines Parteifeldes können soll: Er soll stämmig rüber kommen, er soll überzeugen können, er soll ein Gefühl der Sicherheit herstellen.
Dabei bin ich meiner Schwester in tief wurzelnder Ablehnung der CSU gegenüber verbunden. Wenn ich tief wurzelnd schreibe, dann spielt, das gebe ich ganz offen zu, schon das Elternhaus sowie eine kluge Tante eine gewichtige Rolle. Ich hoffe, dies risikofrei für meine Schwester feststellen zu dürfen, denn sie wohnt (im Gegensatz zu mir) im Herrschaftsgebiet der CSU, wo schon immer über den Einfluss der Amigonetzwerke auf alle möglichen Belange des täglichen Lebens gemunkelt wird. Die CSU, so hieß es bei uns immer, sei auf gar keinen Fall wählbar, wofür schnell und ohne Not überzeugende Support-Argumente gefunden und formuliert wurden. Ein Mann, ein Schlagwort: der Name Franz Josef Strauß erschien aussagekräftig für sich. Wichtige, reale Argumente gegen die CSU und die CDU als politische Non-Option hat der wunderbare Rezo gebündelt und damit „ganze Arbeit“ geleistet.
Ich halte die Erwähnung autoritativ vertretener, elterlicher politischer Meinungen aus mehreren Gründen für relevant: es wäre unehrlich, so zu tun, als spielte das Elternhaus in der Ausprägung der politischen Positionierung keinerlei Rolle, und so auch in der eigenen. Manchmal wird so getan, als habe sich das politische Bewusstsein unabhängig und wie von selbst aus gebildeter Reflexion des mündigen Achtzehnjährigen entwickelt, wie es der moderne, westliche Bildungsroman vom autonomen Individuum gerne erzählt. Denn hatten sich nicht die Jungen im zweiten Drittel des 20. Jahrhunderts zornig gegen ihre Alten erhoben? War es nicht diese Generation und ihr Zorn, die eine noch heute als revolutionär bezeichnete Wende in Europa eingeleitet hatte, die vor allem die Sexualität und das Geschlechterverhältnis nachhaltig erschüttern sollte?
Dies ist zum einen vollkommen richtig, und zum anderen wiederspricht es nicht dem Befund, dass die politische Einstellung etwas mit dem Eltern- und Großelternhaus zu tun hat: sie kann sich ebenso gut in konfrontativer Auseinandersetzung entwickeln. Dies ist sogar ein wichtiger Motor der Auseinandersetzung: Was habt ihr da früher eigentlich für eine Scheiße gebaut? — fragten die kritischen Jungen der 1968er. Sie wandten sich dem alten Denken ab, und daraufhin wandten sich die einen der Hippie-Bewegung hin, über die sie vielleicht glaubten, sich den Grobschlächtigkeiten der Welt entfremden zu können; andere wurden radikal und gewalttätig und beschlossen, ein paar schuldige Alte ins Jenseits zu befördern. Die nächsten fanden neue Ideen, gründeten neue Parteien und setzten sich ideenstrickend in den Bundestag, wo sie heute noch sitzen und der CSU am effektivsten zur Gefahr geworden sind.
In Bayern ticken die Uhren bekanntlich etwas anders, und das taten sie noch mehr im 20. Jahrhundert. Bayern war ein weitgehend bäuerisch geprägtes Flächenland mit „identitären issues“, die man vielleicht unter der verbreiteten Formel Mia san mia zusammenfassen könnte. Die CSU regierte in Bayern mit der unverschämten Selbstverständlichkeit eines Franz Josef Strauß durch, dessen nicht minder stämmiger Habitus und ungleich brutalere Wortgewalt Nicht-CSU-WählerInnen ein Graus war. Seine Milliardendeals mit der verfeindeten DDR sind bekannt: doch mir war nicht bekannt, dass man in Syrien anlässlich seines Todes die Fahnen auf Halbmast setzte, wie mir eine Freundin erzählte, die sich damals dort aufhielt. Von seinen sonstigen Einstellungen ist bekannt, dass er auf UmweltschützerInnen gar nicht gut zu sprechen war: Protestierende gegen ein mögliches Atomendlager im oberpfälzischen Wackersdorf maulte er entgegen, sie sollten doch zu den Kommunisten hinter den Eisernen Vorhang verschwinden, wenn es dort vielleicht besser für sie wäre. Es ist bestimmt unmöglich, Strauß als Baumfreund zu erinnern. Als er starb, war ich in der Grundschule, und wir Kinder bekamen anlässlich des Todes des „Landesvaters“ schulfrei: bei uns zu Hause stürzte deswegen jedoch niemand in Trauer. Dort, zu Hause, thronte über der Küchentür ein in Kupfer gestochener Pferdekopf von der SPD. Dort war ja immer wieder von einem „alten Speckkopf“ die Rede, und man befand sich in einer Underdog-Position: die CSU bildet in Bayern nach wie vor einen wichtigen Teil des politischen Establishments, auch wenn viele WählerInnen mittlerweile andere Parteien oder unabhängige KandidatInnen wählen.
Strauss shaped post-war Bavaria and polarized the public like few others. He was an articulate leader of conservatives and a skilled rhetorician. His outspoken right-leaning political standpoints made him an opponent of more moderate politicians and the entire political left. His association with several large-scale scandals made many politicians distance themselves from him. His policies contributed to changing Bavaria from an agrarian state to one of Germany’s leading industry centres, and one of the wealthiest regions of Germany.
Wikipedia (Franz Josef Strauss)
Die CSU galt dabei nie als eine Partei, die den Idealen und Zielen der Grünen Partei, der Umweltschutzbewegung und verwandter Milieus nahestand: die CSU war seit jeher die Partei der Konservativen, des Mia san mia, der konservativen Religiosität und des Antikommunismus. Der Kommunismus begann direkt hinter den geschlossenen Nord- und Ostgrenzen, was in Unterfranken auch an den Ortsschildern kenntlich war, von denen das recht pandemisch klingende Wort „Zonenrandbezirk“ dem Zonenrand drohte. In einem solchen Milieu hat sich der gesellschaftliche Wandel anders vollzogen als etwa in Nordrhein-Westfalen, wo Söders Kontrahent herkommt — Armin Laschet, dessen Habitus meine Tante vor kurzem ungefähr so beschrieben hat: eigentlich sieht er aus wie ein Schlawiner, dem noch die Zipfelmütze fehlt, und so könnte er gewiss auf einer Bütt‘ auftreten. Das entspräche vielleicht einer Art rheinischem Mia san mia. Natürlich stellt sich in diesem Kontrast die Frage, wer ernster genommen wird: der Schlawiner oder der massive Baumfreund?
Das bayerische CSU-Elektorat ist in Fragen rund um das Eingemachte eher als bierernst zu bezeichnen: es gibt sich zwar im weltweit größten Drogenexzess seinen Räuschen dermaßen enthemmt hin, dass es sogar akzeptiert, dass sich im Zentrum der bayerischen Hauptstadt sogenannte „Kotzwiesen“ erstrecken: dort haben sich Jahr für Jahr unzählige Menschen in Dirndl und Lederhosen übergeben und noch sehr viel Unanständigeres getan. Dennoch wehrt sich dasselbe Milieu jahrzehntelang dagegen, endlich die an Anstand und Moral gemahnenden Kruzifixe von den Wänden der Schulen zu entfernen — sodass unangepasste SchülerInnen dies ständig in die eigene Hand nehmen mussten und müssen; KonsumentInnen anderer, weniger gefährlicher Drogen wie Marihuana, die in der bayerischen Geschichte noch nie zu auch nur annähernden Exzessen geführt haben, werden im bundesweiten Vergleich aufs Härteste bestraft. Auch an diesen Widersprüchen zeigt sich wiederum, dass man in der CSU seinen Machiavell‘ ganz genau gelesen hat: sei dort ein barmherziger Herrscher, wo es dir nutzt (Oktoberfest, Starkbierfeste, Kotzwiesen), schrecke jedoch nicht vor Grausamkeit zurück, wo es dir notwendig erscheint (Marihuana-Illegalisierung) und respektiere die Religion, die sich also dienlich macht (Kruzifixstreit).
Dennoch muss der CSU in Bayern vor der Revolte der Kinder Angst und Bang sein: bereits vor der Pandemie haben sich diese bekanntlich überall freitäglich erhoben, und ihre Sorge gilt genau dem, was nun auch Markus Söder umzutreiben scheint: dem Klimawandel. Weil der Machtverlust um jeden Preis verhindert werden soll — und dies ist die oberste ratio eines Machtmenschen im politischen Feld — muss der Anlass zum freitäglichen Zorn der Kinder nach Möglichkeit als occasione beim Schopf gepackt und appropriiert werden. Ebenso hat es auch die figurative Mutti nach der Atomkatastrophe von Fukushima wiederholt vorgemacht, und so gesehen ist Angela Merkel natürlich weniger eine Mutti als eine mulier virtuosa. Im selben Sinn ist der Griff zum Baum des Markus Söder als Kennzeichen eines uomo virtuoso zu deuten, mit dem die CSU ihren fähigsten Kerl zum Foto-Shooting in den Klima-Park gestellt hat.
Denn wer sollte auch sonst aus dem Herrschaftsbereich der CSU in die weite Welt des Wandels stapfen? Gewiss nicht Karl-Theodor Maria Nikolaus Johann Jacob Philipp Franz Joseph Sylvester Buhl-Freiherr von und zu Guttenberg, der sich als Plagiant zusätzlich zu seinem zeilenlangen Namensschwanz einen Doktorgrad erschleichen wollte, und sich trotz seines instafähigen, optischen Images als zutiefst unfähig erwiesen und mehrfach sein früher so vorzeigbares Gesicht verloren hat. Ebensowenig gehört die schrille Digi-Doro in das Virtuosen-Repertoire der CSU, deren Position tief in den schweren Zustand der Digitalisierung in Deutschland blicken lässt: In der Bio ihres Instagram-Profils bezeichnet sich diese als „Instalover, Mama, Politikerin, Gamerin, Jägerin, Fränkin, Bayerin, Teilzeit-Berlinerin, süchtig nach [Icon „Sonne“] [Icon „Chili“] intelligenten Menschen & viel pink“ und glaubt offenbar, optisch mit Abbildungen in knappen Latexklamotten punkten zu können. Vom Lederhosen-Laptop-Image zum Latexkleid-Tablet-Posting? — Nun ja. Man kann der CSU auch als Außenstehender, in Ablehnung verbundenener Nicht-Wähler nur zu Markus Söder gratulieren.
Das Problem, das die CSU hat, hängt mit der Überalterung ihres Laptop-und-Lederhosen-Selbstverständnisses zusammen, von dessen angesprochener Bierernsthaftigkeit sich nun viele abwenden. Möglicherweise schmieden die Abtrünnigen nun Bündnisse mit den Kindern des 20. Jahrhunderts, die heute zu den Alten gehören und hinsichtlich der Bäume, des Klimas und der absehbaren Katastrophen schon in den 1970er-1980er Jahren laut und gegen den Hohn der CSU gefragt haben: Was habt ihr da eigentlich für eine Scheiße gebaut? Die Kinder von heute und von früher mögen sich dies aber auch nach dem ersten, überstandenen Jahr ohne Oktoberfest fragen: was baut ihr da eigentlich ständig für eine Scheiße? Jedes Jahr? Kotzwiesen: seriously? Vielleicht ist ja auch das bayerische Superspreading, das die Drogeninstitution des Starkbierfests in Verruf gebracht hat, ein Zeichen der Zeit und ein Ruf der occasione:
Wir verändern uns jetzt einmal ernsthaft.
Wir unterlassen es, die Natur zu zerstören, denn Umweltzerstörung verursacht Katastrophen und setzt unbekannte Viren frei.
Wir hören auf den Zorn der Kinder, denn sie fangen an, ernsthaft um ihre Zukunft zu schwitzen.
Wir verzichten darauf, München jährlich so vollzukotzen.
Wir werden sehen, wer die occasione ergreift: im Herbst sind dann Wahlen. Die Jungen von heute und jene von früher (die zwar alt, aber deswegen doch nicht innerlich rückständig sein müssen), denen es gemeinsam um die Umwelt bestellt ist, machen sich ihre Pläne wohl ohne halbherzige Versprechungen zum Umweltschutz und wählen eigene Optionen. Genau davor hat die Union gerade natürlich panische Angst. Und das ist auch gut so: für den politischen Prozess.