[Pandemos] Zur Disputation

Es ist nun eine ganze Weile her, dass ein Beitrag im Thread [Pandemos] erschienen ist, und zwar aus unterschiedlichen Gründen. Einer davon ist meine erst kürzlich zurückliegende Disputation: ich habe nämlich in dieser Woche, am 7. Juli 2020, meine Dissertation an der Humboldt-Universität zu Berlin erfolgreich verteidigt. Es lief aus meiner Sicht alles gut, und auch das Ergebnis kann sich sehen lassen: es wurde eine Magna cum laude. Für meine Leserinnen, Verwandten und Freundinnen, die mit diesen Kategorien nichts anfangen können: die lateinische Benotung „Magna cum laude“ bedeutet wörtlich „mit großem Lob“, sinngemäß entspricht sie einem „Sehr gut“ in der schulischen Notenskala, wird aber übertroffen von der „Summa cum laude“, nämlich „mit höchstem Lob“ (in der Notenskala besser als 1,0).

Nicht, dass mich Noten je sonderlich beeindruckt hätten – zumal: besser geht immer. Doch in diesem Fall nehme ich die Bewertung einfach als Anerkennung sehr gerne entgegen. Es käme mir gar nicht in den Sinn, höheres einzufordern, weil ich auch um meine Nachlässigkeiten weiß. Wie wahrscheinlich viele Doktorandinnen wissen, kann der Abgabe und den Gutachten eine lange Zeit extremer Selbstzweifel und Verunsicherung voraus gehen. Vielleicht betreffen Berufskrankheiten wie „Impostor-Syndrom“ (Hochstaplersyndrom) und Perfektionismus (das ist gar nichts gutes!) Arbeiterkinder wie mich ja auch stärker als andere, weil sie sich quasi ihr Leben lang im Neuland bewegen: dies sei direkt an meine fleißigen Cousinen gerichtet, die ebenfalls aus Arbeiter- und Immigrantenmilieus kommen und hoffentlich von meiner Erfahrung in irgendeiner Weise profitieren mögen; andererseits habe ich auch gehört, dass diese Dinge klassenübergreifend die Lebensqualität einschränken. Wie dem auch sei: ein Erfolgserlebnis ist ein Erfolgserlebnis ist ein Erfolgserlebnis.

Leider konnten neben meinem Erstgutachter Professor Hannes Grandits (HU), meiner Zweitgutachterin Professorin Ingeborg Baldauf (HU, aus Österreich via Zoom-Schalte anwesend), der Prüfungskommissionsvorsitzenden Professorin Birgit Aschmann (HU) sowie der wunderbaren Kollegin und Protokollantin Ruža Fotiadis (HU) „nur“ (drei) Mitglieder des Kolloquiums via Zoom dabei sein – obwohl die Öffentlichkeit offiziell nicht ausgeschlossen war, und obwohl ich weiß, dass ein paar Freundinnen und Verwandte gerne dabei gewesen wären. Ich bin allen via Zoom Anwesenden – Janis Nalbadidacis, Maren Francke, Martin Blasius – sehr dankbar, und besonders freut mich natürlich die physische Anwesenheit der genannten Prüfungskommissionsmitglieder, denn das ist in Corona-Zeiten nichts selbstverständliches.

Streng genommen war die Öffentlichkeit aber doch „ausgeschlossen“, oder zumindest stark eingeschränkt: es durften nämlich nur solche Teilnehmerinnen online anwesend sein, die einen HU-Account haben (d.h., die immatrikuliert oder an der HU angestellt sind) und sich fünf Tage vor dem Termin der Disputation im Prüfungsamt von ihrem Account aus gemeldet haben, um sich einen Zoom-Link zusenden zu lassen. Das alles ist Corona geschuldet, weshalb dieser Beitrag unter anderem auch in die Kategorie [Pandemos] passt. Zu den weiteren, eher inhaltlichen Gründen, weshalb die von mir gewählten Themen auch in unsere pandemische Zeit passen, komme ich gleich noch.

Ich will an dieser Stelle unbedingt hinzufügen, dass ich mich gar nicht über die Teilnahmeregelungen aufregen möchte – denn ich bin immer noch froh, dass die Disputation überhaupt stattfinden konnte. Noch im April etwa schien alles völlig in den Sternen zu stehen. Man muss schließlich bedenken, dass es keinerlei (oder sehr wenige) Erfahrungswerte mit Verteidigungen in Zeiten der Pandemie und ihren besonderen Hygienevorschriften gibt. Eine Kollegin von der Graduiertenschule, die kurz vor mir an der FU verteidigt hat, musste ganz ohne Öffentlichkeit auskommen. Von einer weiteren „pandemischen“ Verteidigung wurde mir hingegen berichtet, dass auch Teilnehmerinnen aus anderen Ländern dabei sein durften und zirka vierzig Personen zugeschaltet sein konnten. Aber, hey: jeder Anfang ist holprig, und wir alle stecken in einem Lernprozess, der auch noch eher erzwungen eingesetzt hat.   

Auf die Disputation hätte ich mich nun nicht unbedingt sehr lange eigens vorbereiten müssen, wenn es „nur“ darum gegangen wäre, meine Dissertation zu verteidigen. Auch wenn diese in ihrer momentanen (und noch stark zu überarbeitenden!) Gestalt zum Leid meiner Gutachter 601 Seiten lang ist, kenne ich die Dissertationsschrift schließlich inn- und auswendig. Ein fünfminütiges Abstract in Thesenform darüber vorzubereiten hätte mich jetzt nicht sonderlich aus der Bahn geworfen oder besonders viel Zeit in Anspruch genommen.

Ich möchte an dieser Stelle etwas feststellen: in jeder Krise liegt ja auch ein Vorteil, wie es oft so schön heißt. Nun wissen alle, die mich kennen, dass ich nicht unbedingt auf den Mund gefallen bin, ihn vielleicht oft auch etwas weit aufreiße. Trotzdem bin ich oft vor Vorträgen etwas nervös, wobei sich die Nervosität meist ab Beginn des Vortrages löst. Dennoch hat es mich überrascht, dass ich dieses Mal wirklich nicht die Bohne nervös war: weder davor noch währenddessen. Ich denke, dass das Setting viel dazu beigetragen hat, und diese Situation ist nun doch am Ende auch der Pandemie zu verdanken. Schließlich sind sieben Monate seit Abgabe der Dissertation (am 12.12.2019) vergangen, und auch die Gutachten zur Dissertationsschrift selbst waren mir vorher bekannt (was nicht in jeder Prüfungsordnung der Fall ist). Es gab also rein objektiv gesehen keinen Grund zur Aufregung, und auch organisatorisch musste ich mir um rein gar nichts Gedanken machen. Die Videoschalte für die Hochschulöffentlichkeit wäre also vielleicht eine gute Lösung auch für die Zeit nach der Pandemie, insofern sie der Promovendin / dem Promovenden hilft, überflüssige Nervosität zu vermeiden.

Doch in der Disziplin Geschichte, in der ich verteidigt habe, besteht für Promovendinnen der Neueren Geschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin die Regel, drei unterschiedliche Zeiträume mit je einem Vortrag à fünf Minuten in Thesenform abzudecken: die erste These bezieht sich auf die Dissertation, und sofern das Thema der Dissertation den Zeitraum des 20. Jahrhunderts abdeckt (wie bei mir), muss sich die zweite These auf das 19. Jahrhundert beziehen, die dritte hingegen auf die Frühe Neuzeit (ab zirka Mitte des 15. Jahrhunderts bis zirka zur Französischen Revolution).

Diese Regelung muss kontextgebunden verstanden werden, und natürlich ist Kritik am Eurozentrismus dieser Disziplinen- und Epochenvorstellung unbedingt erlaubt. Da ich mich in meiner Dissertation mit einem Thema und einer Geographie beschäftigt habe, die in jeder Hinsicht grenzüberschreitend ist (Jugoslawien, Bosnien-Herzegowina, Serbien, Montenegro, Sandžak*, Kosovo, Makedonien [Nordmazedonien] und Türkei), ist mir bewusst, dass diese Epochengrenzen stark an der europäischen Geschichte orientiert und abgesteckt sind. Spricht man etwa von der Frühen Neuzeit, so markiert der nicht genau definierbare Anfang dieser Epoche das Ende des Mittelalters: genauer gesagt muss aber vom europäischen Mittelalter, von der europäischen Frühen Neuzeit die Rede sein. Dasselbe gilt auch für das Neunzehnte Jahrhundert, das als „langes Neunzehntes Jahrhundert“ auch noch bis ins Zwanzigste (europäische) Jahrhundert hineinreicht. Obwohl ich mich durchaus stark für nicht-europäische Kontexte interessiere, habe ich mich entsprechend des Kontexts also für europäische Themen entschieden.

Die drei unterschiedlichen Themen sollen, laut Prüfungsordnung, auch in der Tat unterschiedlich sein – das heißt, sie dürfen inhaltlich nicht direkt miteinander zu tun haben. Und auch in dieser Hinsicht war die Pandemie für meine Themenwahl mitbestimmend. So hatte ich zunächst vor, zum 19. Jahrhundert über die sogenannte „Urburschenschaft“ eine These zu formulieren, also über die körperlich und vergeschlechtlicht gefasste Bewegung der Turnvereine und den sogenannten Turnvater Jahn, an dessen Denkmal ich oft in der Hasenheide der heimatlichen Hermannova vorbeilaufe.

Doch dann war Corona, und Corona trieb mich täglich für Stunden in den Wald – in den „deutschen Wald“, wenn man so will. Deshalb habe ich mich für das Thema „der deutsche Wald“ entschieden, und dieses Thema hatte im 19. Jahrhundert auch schon einmal Hochkonjunktur. Man mag zuerst an die Deutsche Romantik denken, und das tat auch ich – aber ich dachte noch stärker an die eindrücklichen Wald- und Naturbilder Heinrich Heines. Ich habe Heine immer gerne gelesen. Sein Romanfragment Der Rabbi von Bacherach zum Beispiel ist zwar einerseits grausam, aber selten habe ich aus dieser Zeit etwas gelesen, was mir die beschriebene Natur stärker vor Augen geführt hat. Heine, mein lieber Außenseiter, hatte etwas auf Lager, das man fast als magischen Realismus bezeichnen könnte, und deshalb entschied ich mich für Heine – allerdings für seine Schrift Die Romantische Schule und den historischen Kontext.

Zur Frühen Neuzeit dagegen hat sich mein Anfangsverdacht der Brauchbarkeit von Geschichte durch Corona nur noch erhärtet. Hier habe ich mich für Niccolò Machiavellis Gechichtsbild entschieden, welches zyklisch war. Das passt zum Begriff der Renaissance, was ja auf Deutsch nichts anderes als „Wiedergeburt“ bedeutet, auch wenn Machiavelli und Zeitgenossen ihre Zeit nicht so genannt haben. Nun erleben wir auch gerade einen Zusammenbruch des Weltbildes, welches für „uns“ so prägend war („uns“ gefasst als diejenigen unter uns, die mit der Wachstumsideologie aufwuchsen). 

Diese Themen will ich in den folgenden Beiträgen genauer ver-Antwort-en: ich werde also nicht nur den Inhalt meiner kurzen, fünfminutigen Präsentationen wiedergeben, sondern versuchen, diese Themen mit Antworten zu versehen: die Geschichte „gegen den Strich zu bürsten“, wie es Hannah Arendt und Walter Benjamin gefordert hatten, um Pathologien der Geschichte zumindest zu benennen.

[Zu den Beiträgen 1-3 über Heinrich Heine HIER klicken]

[Zum Beitrag 4 über Heinrich Heine HIER klicken]

[Zum Beitrag 5.1 über Heinrich Heine HIER klicken]

[Zum Beitrag 5.2 über Heinrich Heine HIER klicken]

[Zum Beitrag 5.3 über Heinrich Heine HIER klicken]

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