[Literatur] Spitzenpolemik bei Heinrich Heine: Die Romantische Schule

Auch Polemik – und nicht Satire, und die Unterschiede zwischen beiden werden oft grob verwischt – kann eine hervorragende Kunstform sein. Der jüdisch-deutsch-protestantisch-französische Heinrich Heine (ich erlaube mir einmal diese Reihung, ohne den Toten und die Biographen genauer zu befragen) hat die Polemik sprachlich so auf die Spitze getrieben, dass die Lektüre auch heute noch ein Hochgenuss ist.

Manche Kritik ist so dringend und ernsthaft, dass sie am besten über provokative Verächtlichmachung mit einer Prise Rache vorzutragen ist, bis der Groll bald groß wird. Der Grund für diese Notwendigkeit besteht vielleicht darin, dass abgestandene Formen der Kritik nur noch weich und weiß waschen, was aber schon weich und weiß ist. Im Gegensatz zum 19. Jahrhundert mit seiner harten Zensur stehen uns Genres und Rahmen wie Rap und Hiphop, Beef und Hashtag, Op-Ed und Neo-Kolumne zur Verfügung – und oft ginge sehr viel besser, was zornig gezwitschert und gepostet wird.

Heine-Lektüre auf dem Tempelhofer Feld, 29.6.2020

Heute habe ich auf Tempelport Airhof Heinrich Heines „Die Romantische Schule“ im einhundertfünfundachtzigsten Jahr nach ihrem Erscheinen an die Deutschen gerichtet (ursprünglich sprach er vorher schon in Paris zu den Franzosen, über die Deutschen; war zuvor in Deutschland „verstümmelt“, d.h. zensiert worden) zu Ende gelesen. Eigentlich war ich nur auf der Jagd nach weiteren Baum- und Waldmetaphern für meine Disputation. Gerne reiße ich aber drei Zitate (hier ohne Waldmetaphern) aus ihrem Kontext – und ich freue mich darüber, dass im ersten das zeitgemäße Wort ‚trollen‘ auftaucht. An dieser Stelle beschäftigt sich Heine mit der Person Johann Heinrich Voß, dem er sympathisch eingestellt ist – ganz im Gegensatz zu „den Schlegeln“ (Friedrich Schlegel; A. W. Schlegel), über die er das ganze Buch hindurch scharf herzieht:

Überhaupt kann man in Deutschland auf das Mitleid und die Tränendrüsen der großen Menge rechnen, wenn man in einer Polemik tüchtig mißhandelt wird. Die Deutschen gleichen dann jenen alten Weibern, die nie versäumen einer Exekution zuzusehen, die sich da als die neugierigsten Zuschauer vorandrängen, beim Anblick des armen Sünders und seiner Leiden aufs bitterste jammern und ihn sogar verteidigen. Diese Klageweiber, die bei literarischen Exekutionen so jammervoll sich gebärden, würden aber sehr verdrießlich sein, wenn der arme Sünder, dessen Auspeitschung sie eben erwarteten, plötzlich begnadigt würde und sie sich, ohne etwas gesehen zu haben, wieder nach Hause trollen müssten.“ (S. 38-39)

Im zweiten Zitat äußert er sich abfällig über Religion – obwohl er es fertigbringt, truth be said, sich ganz unterschiedlich über Religion zu äußern. Er hegt zwar eindeutige Abneigung gegen Katholizismus und mittelalterliches „Walddunkel“ – aber an anderer Stelle würdigt er die zivilisierenden Eigenschaften der Religion und des Protestantismus. Dann wieder sieht er in (katholischen) italienischen Renaissancekünstlern die größeren Protestanten, in ihren Kunstwerken die „besseren Thesen“ als in den „sächsischen Mönchen“ (Luther):


Religion und Heuchelei sind Zwillingsschwestern, und beide sehen sich so ähnlich, daß sie zuweilen nicht voneinander zu unterscheiden sind. Dieselbe Gestalt, Kleidung und Sprache. Nur dehnt die letztere von beiden Schwestern etwas weicher die Worte und wiederholt öfters das Wörtchen „Liebe“. – Ich rede von Deutschland; in Frankreich ist die eine Schwester gestorben, und wir sehen die andere noch in tiefster Trauer.“ (S. 63) 

Wie besonders dieses zweite und auch das folgende dritte Zitat zeigen, steht bei der gesamten Betrachtung das Verhältnis zwischen Frankreich und Deutschland im Zentrum. Dieses war seiner Ansicht nach von tiefer französischer Unkenntnis über Deutschland geprägt, wo man sich hauptsächlich auf Madame de Staels „De l’Allemagne“ verließ, welches schon damals verrissen worden war. Dieses deutsch-französische Verhältnis war durch die napoleonischen Eroberungen kein einfaches, und es würde 36 Jahre später mit der Gründung des Deutschen Reichs und nach der französischen Niederlage in der „Erzfeindschaft“ gipfeln. Hier beklagt er sich über die Arroganz des A. W. Schlegel, nachdem er ihn zuvor schon mit einem Violinspieler verglichen hatte, der gar nichts könne, mit einem eigentlichen Nicht-Dichter:


Sein Refrain war immer, daß die Franzosen das prosaischste Volk der Welt seien und daß es in Frankreich gar keine Poesie gäbe. Dieses sagte der Mann zu einer Zeit, als vor seinen Augen noch so mancher Chorführer der Konvention, der großen Titanentragödie, leibhaftig umherwandelte; zu einer Zeit, als Napoleon jeden Tag ein gutes Epos improvisierte, als Paris wimmelte von Helden, Königen und Göttern … Herr Schlegel hat jedoch von dem allen nichts gesehen; wenn er hier war, sah er sich selber beständig im Spiegel, und da ist es wohl erklärlich, daß er in Frankreich gar keine Poesie sah.“ (S. 68-69)  


Literatur:

Heine, Heinrich (1995 [1835]): Die Romantische Schule und andere Schriften über Deutschland (Werke 3). Köln: Könemann.

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