Dieser Beitrag ist eine Replik auf einen Artikel Ortwin Rosners im österreichischen Standard vom 17. Februar 2020, in welchem der Autor die „erfolgreiche“ Manipulation der öffentlichen Meinung im Fall des Journalisten, Whistleblowers und Wikileaks-Gründers (bzw. Mitgründers) Julian Assange dekonstruiert. Assange wurde als Vergewaltiger stigmatisiert und über Jahre seiner Freiheit beraubt; seine Integrität wurde nachhaltig zerstört. Es geht aber nicht „nur“ um die Zerstörung Julian Assanges, sondern sogar vordergründig um Kriegsverbrechen der USA im Irak, die Assange aufgedeckt hat und die ungesühnt geblieben sind. Ich zitiere aus Rosners Artikel:
Der Hintergrund all dieser bizarr anmutenden Vorfälle liegt für Melzer auf der Hand. Er verweist darauf, dass Assange zum damaligen Zeitpunkt gerade dabei war, systematisch schwere Kriegsverbrechen der Amerikaner öffentlich zu machen, in Zusammenarbeit mit der „New York Times“, dem „Guardian“ und dem „Spiegel“. Erst wenige Monate zuvor, im April 2010, hatte Wikileaks das sogenannte „Collateral Murder“-Video veröffentlicht, das der Organisation von der amerikanischen Whistleblowerin Chelsea Manning zugespielt worden war. Es zeigt, wie Angehörige der amerikanischen Streitkräfte in Bagdad unter Gelächter vom Hubschrauber aus Menschen niedermähen, darunter zwei Mitarbeiter der Nachrichtenagentur Reuters. Auch auf Verwundete, auf jemanden, der ihnen zu Hilfe kommen will, und auf Kinder wird dabei gefeuert. (Quelle)
Mir geht es in diesem Beitrag um zwei Probleme: erstens, persönlich und allgemein nachzuvollziehen, wie es offenbar möglich gewesen ist, öffentliche Meinungen über Desinformations- und Rufmordkampagnen zu manipulieren, an der Menschen „wie du und ich“, JournalistInnen, „Werbeplattformen“ wie Facebook und Geheimdienste aktiv mitgewirkt haben. In diesem ersten Problemfeld geht es am Ende auch um ein paar unbequeme Fragen zur Recherchepflicht und -Ethik im Journalismus des digitalen Zeitalters. Zweitens will ich noch abschließend thematisieren, dass die Manipulationsmöglichkeiten des digitalen Zeitalters furchterregende Konsequenzen für die digitale Kriegsführung (z.B. über Drohnen) hat.
Rufmord: die Diffamierung, andauernde Bedrohung und Freiheitsberaubung Julian Assanges
Julian Assanges Leben wurde, wenn ich das einmal so drastisch als Außenstehender formulieren darf, zerstört. Ich weiß natürlich nicht, wie es Assange wirklich geht, aber ich finde diese Formulierung passend, da es mehr als nur ein „Geschmäckle“ ist, das ihm da angehängt wurde: der Ruf des Vergewaltigers.
Der Ruf des Vergewaltigers ist wahrscheinlich ein fait accompli des digitalisierten, extrem binären Meinungsfeldes: eine „nicht mehr rückgängig machbare Tatsache“ – ohne je eine Tatsache gewesen zu sein. Wann immer der Name Julian Assange fällt, wird sich in den öffentlichen Meinungen ein „Aber…“ dazwischen schieben. Es wird vielleicht weiterhin schmutzige Wäsche auf die reine Tafel der anständigen Gesellschaft geknallt werden: Hallo, war da nicht was mit Vergewaltigung? Es ist nicht gesagt, dass sich die Aufklärung über die Unwahrheit der angeblichen Vergewaltigung zweier Frauen durch Assange besonders weit herumsprechen wird; dass es viele JournalistInnen Bettina Gaus von der Taz gleich tun werden, wie im oben zitierten Artikel im Standard gewürdigt wird.
Doch die Schmutzwäsche sollte man zuerst bei sich selbst anfangen, zu reinigen. Ich muss in diesem Zusammenhang selbstkritisch feststellen, dass ich zu Julian Assange fast nie etwas laut gesagt habe. Ich habe ihn kaum je öffentlich in Schutz genommen: im Gegensatz zu Whistleblower Edward Snowden, oder auch Guardian-Journalist Glenn Greenwald (der jetzt, surprise, surprise!, in Brasilien verfolgt wird). Wenn ich doch einmal etwas über Facebook geteilt habe, gab es keine der sonst üblichen Likes und Herzchen, die besonders anständige Menschen gerne verteilen, wenn sie es (zurecht) verurteilenswert finden, wenn anderen Personen oder Personengruppen (zuunrecht) ein bestimmter Ruf angehängt wird.
Ich will jetzt absolut nicht sagen: „ich habe es schon immer gewusst“, oder gar: „ich habe es schon immer gesagt“; denn weder habe ich gewusst, was hinter den Vorwürfen stecken würde, noch war die Wahrscheinlichkeit besonders groß, dass ich es habe wissen können: wie in dem Standard-Artikel deutlich gemacht wird, haben sehr wenige JournalistInnen die Mühen der Recherche auf sich genommen, um einige schwedischsprachige Dokumente zu sichten und zu übersetzen. Ausnahmen bestätigen die Regel.
Die erfolgreiche Diffamierung im Freundeskreis
Obwohl ich also in keiner Weise „besser“ über Assange informiert war und, ich gebe es zu, meine Empathie für Assange durch die Desinformationskapagne gegen ihn drastisch gemindert war, will ich mir ein Gespräch mit FreundInnen über genau dieses Thema in Erinnerung rufen. Dieses Gespräch halte ich für mein eigenes Verständnis darüber, wie Rufmordkampagnen funktionieren, für interessant und aufschlussreich, weil dazu die RezipientInnen-Ebene dieser Art von Propagandaführung einbezogen werden muss.
Es war ein Gespräch mit Freundinnen auf einer Geburtstagsfeier. Es floss Rotwein, es wurde geraucht. Dazu wurden die großen Ungerechtigkeiten der Welt in unserem merkwürdigen, unübersichtlichen Interregnum (Gramsci) besprochen. Ich habe Zweifel angemeldet, ob es denn im Fall Julian Assange mit rechten Dingen zuginge. Ich hatte damals nicht gesagt, dass ich ihn für unschuldig hielte: ich hatte lediglich festgestellt, dass es schon sehr konstruiert wirke, dass nach seinen Leaks nun ein (angeblich) handfester Vergewaltigungsskandal heraufzog.
Die Reaktionen waren prompt: ich wurde sofort aufs Schärfste verbellt und zurecht gewiesen. I was in the doghouse. Wenn eine Frau einen Vergewaltigungsvorwurf äußere, habe sie erst einmal immer Recht – hieß es. Es sei eine üble Strategie der Männerischen und der Männerherrschaft, die Frau nicht ernst zu nehmen, ihre Vergewaltigung auf einen Treppenwitz zu reduzieren. Und waren es bei Assange nicht gleich zwei Frauen, zwei Vergewaltigungen? War er damit nicht nachweislich sogar ein pathologischer Vergewaltiger? Einer, der eigentlich weggesperrt gehört? Es wurde genauestens Bescheid gewusst! Ich stand hingegen fast schon selbst diffamiert da: war ich etwa ein Verteidiger eines pathologischen Vergewaltigers? War ich am Ende nicht ebenso männerisch wie die Männerischen? Lief es nicht mit allen „Cis-Männern“ immer auf dasselbe hinaus?
Am liebsten wäre ich aufgestanden und gegangen. Es war schwer, wieder ins Gespräch zurückzufinden und die gegenseitigen Prellungen und Bisse ungeschehen zu machen. Ich verließ den Abend mit Ressentiment und Wut: nichts lag mir ferner, als Vergewaltigung zu relativieren, und in keiner Ecke hätte ich mich unwohler gefühlt, als in Gesellschaft von Männerischen, die das tun. Traurigerweise hatte das aber auch zur Folge, dass ich bestimmte Themen in bestimmten Kreisen gar nicht mehr anspreche. Diesen Effekt nennen Propagandisten Silencing („still machen“), wobei Silencing viele Facetten hat, und diese ist „nur“ eine etwas harmlosere. Jason Stanley hat Silencing in einem Beitrag in der New York Times 2011 anhand eines hier passenden Vergleichs beschrieben:
Silencing extends to politics when outlandish claims are made about public figures. Suppose that President Obama really was a secret Islamist agent, or born in Kenya. In that case, he would be grossly insincere. We would have no reason to believe what he said in any situation. The function of disseminating such claims about the president is not to object to his specific arguments or agenda. It is to undermine the public’s trust in him, so that nothing he says can be taken at face value. (zum NYT-Artikel)
Genau das war mit Julian Assange geschehen. Er konnte sagen oder tun, was er wollte: es würde sich immer wieder ein „Ja, aber er hat doch…“ vorschieben. In härteren Varianten geht Silencing über in Zensur und Tabuisierung.
‚Desinformacija‘ und Meinungsproduktion über Werbeplattformen
Wie sich jetzt herausstellt – und wahrscheinlich wissen wir immer noch nur einen Bruchteil über die gesamte Rufmordkampagne – wurde gar nichts genau Bescheid gewusst. Es wurde falschgewusst: in Studien der öffentlichen Meinungsproduktion und der Propaganda wird dafür der russische Begriff Desinformacija (Desinformation) verwendet. Constanze Kurz vom Chaos Computer Club (die eigentlich unbedingt den Job der zutiefst unfähigen Dorothee Bär haben sollte!) hat unter anderem über Desinformationskampagnen einen hervorragenden, langen Vortrag geliefert, der über die Mediathek von Deutschlandfunk nachgehört werden kann (Hinweis: nachhören hat beim Schreiben dieses Beitrags nicht funktioniert, ich habe den Beitrag aber heruntergeladen und gespeichert, bei Interesse).
In Kurz‘ Redebeitrag geht es eigentlich um den Cambridge Analytica Datenskandal von Facebook (2018); Kurz‘ Beitrag sei aber in diesem Zusammenhang unbedingt empfohlen. Denn ganz unabhängig davon, ob JournalistInnen das einsehen und/oder verstehen wollen, können, oder auch nicht – und ich befürchte, digitaler Analphabetismus ist ein weitverbreitetes Problem unter JournalistInnen, wie mir eine Journalistin gesagt hat: die öffentliche Meinung wird längst nicht mehr von JournalistInnen „gebildet„, sondern über „Werbeplattformen“ wie Facebook oder Twitter „produziert„. Bezeichnenderweise nennt Constanze Kurz Facebook eine „Werbeplattform“, was sich als sehr treffende Bezeichnung erweist, da es bei den „Likes“ und „Herzchen“ etc. immer um die Vermarktung der Meinungen geht. Es spielt dabei absolut keine Rolle, wie „gut“ oder „moralisch integer“ die Meinung an sich ist: als digitaler Abdruck, als Information, fließt jeder Klick in die undurchsichtige Marktlogik der Werbeplattformen ein.
Diese Vermarktung von Emotion ist hochgradig problematisch. Sie wird meiner Meinung nach nicht in gebührendem Maße problematisiert und verstanden, sondern kritiklos hingenommen. Darüber entstehen dann Meinungen, die einen „großen Marktwert“ haben, und jene, die einen „geringen Marktwert“ besitzen. Im Fall des Doppelskandals der US-amerikanischen Kriegsverbrechen im Irak und der Rufmordkampagne gegen Julian Assange hatte das zur Folge, dass unproportional häufig über Julian Assange geschrieben, gemeint und kommentiert wurde – jedoch kaum über die unter Gelächter aus einem Helikopter heraus gemordeten Zivilisten und sogar Kinder im Irak (vgl. Standard-Artikel).
Diese Unproportionalität im Doppelskandal der US-amerikanischen Kriegsverbrechen im Irak und der Rufmordkampagne gegen Julian Assange ist kein Einzelfall, sondern strukturell bedingt. Doch was ist damit gemeint? Was ist unter der „Struktur“ der Werbeplattformen zu verstehen, die laut Constanze Kurz gar nicht anders können, als Meinungen zu instrumentalisieren und zu vermarkten (auch ohne erprobte Regularien)? In meinen Studien öffentlicher Meinungen offen propagandistischer Medien der holdingisierten und zensierten türkischen Medienlandschaft sowie des bosniakisch-türkischen Meinungsmarktes habe ich beobachten können, dass Gefühle zentral für die Meinungsproduktion sind: es sind Gefühle oder Emotionen, die darüber entscheiden, welche Nachricht relevant, welche Nachricht „irrelevant“ auf dem Markt ist.
Mit einer „unabhängigen Presse“ hat so etwas natürlich gar nichts zu tun. Insofern sollte auch nicht irreführenderweise von Meinungsbildung, sondern unbedingt von Meinungsproduktion die Rede sein: Meinungsbildung suggeriert, dass sich MeinungsbildnerInnen und MeinungsträgerInnen ihre Meinungen auf einer fundierten Grundlage bilden. Der Doppelskandal der US-amerikanischen Kriegsverbrechen im Irak und der Rufmordkampagne gegen Julian Assange beweist jedoch, dass die „Grundlage“ der „Meinungsbildung“ auf einer im Vorfeld produzierten Meinung beruhte: der Mythos der „Meinungsbildung“ und der Rolle der Medien als Korrektiv der Demokratie – Demokratie verstanden als Raum des Arendt’schen Politischen, des Inter-Esses der unterschiedlichen Menschen, sowie der Freiheit – ist damit widerlegt.
Zwischen Recherchepflicht und vorproduzierter Meinungsproduktion
Wie im Standard-Artikel zum Doppelskandal der US-amerikanischen Kriegsverbrechen in Irak und Julian Assange deutlich wird, waren US-amerikanische, britische und schwedische Geheimdienste in die Zerstörung der Person Julian Assange über seine nachhaltige Diffamierung involviert. Jeder Geheimdienst hat Leute, die ‚Desinformacija‚, Lippmans ‚Public Opinion‚, das Propagandawissen der Nazis, sowie „weiterführende Literatur“ zu Propaganda inhaliert haben. Doch nicht nur das: diese Leute wissen genau, wann wo ein ‚Hashtag‚ zu setzen ist. Sehr wahrscheinlich verstehen sie sehr genau, wie ein Algorithmus funktioniert – im Gegensatz zu mir, und wahrscheinlich auch im Gegensatz zu den allermeisten JournalistInnen.
Ich kann mir an dieser Stelle einen Zynismus nicht ersparen, den ich aber gleich relativieren muss: nämlich, dass wir alle wahrscheinlich schon einmal Geld dafür bezahlt haben, falsch informiert worden zu sein, ohne es zu bemerken. Ich muss das gleich relativieren, denn es gibt den gefährlichen Schlachtruf der „Lügenpresse„, der so gerne von den erfolgreich zu Ende manipulierten AnhängerInnen der Neo-Re-Bewegungen wie „Pegida“, „Legida“ oder der rechtsextremen Partei AfD bemüht wird. Ich will mit meiner Kritik – die ich tatsähchlich als Medienkritik bezeichnen würde – nicht in diese Kerbe schlagen; denn die Rede von der „Lügenpresse“ will ja verschleiern, dass es Gefühle sind, die sich hinter dem Begriff „Lügenpresse“ verbergen. Diesen Leuten geht es nicht um Wahrheit.
Dieser Beitrag soll kein Rundumschlag gegen Journalismus und JournalistInnen sein. Ich will an einen Beitrag über die Spiegel-Relotius-Affäre („Relotius-Affäre: Journalismus-Bashing unangebracht (?)„) erinnern. Eines der renommiertesten deutschsprachigen Medien war über Jahre hinweg komplexen Lügen eines Journalisten aufgesessen, hatte diese Lügen an die LeserInnenschaft auch noch für Geld verkauft und damit großen Schaden am Ruf des eigenen Hauses und der Rolle „der Medien“ bewirkt. Dennoch spreche ich mich dagegen aus, dem Journalismus insgesamt eine schlechte Note auszustellen, oder dem Genre der Reportage die Daseinsberechtigung abzusprechen. Vielmehr sollten solche Fälle dazu führen, dass endgültig anerkannt wird, dass der Journalismus in einer neuen Ära angekommen ist, mit neuen (erweiterten) Qualitätsansprüchen.
Diese Ära heißt natürlich Digitales Zeitalter – das steht völlig außer Frage. Doch auch wenn im Moment die entgegengesetzte Tendenz zu beobachten ist, heißt das nicht, dass der digitale Journalismus zwangsläufig immer „Desinformation“ produzieren muss. Ganz im Gegenteil: die Desktop-Recherche und gerade auch die verfügbar gemachte Information durch Whistleblower wie Julian Assange eröffnen Möglichkeiten, von denen JournalistInnen, zum Beispiel während des Kalten Krieges, nur haben träumen können. JournalistInnen sollten deshalb äußerst sparsam darin sein und es sich gut überlegen, bevor sie BloggerInnen oder YoutuberInnen mit einem altvorderen, herabwürdigenden Blick abstrafen. Nicht sparsam sollten sie, im eigenen Interesse, mit ihrer Solidarität für Julian Assange und andere WhistleblowerInnen und BloggerInnen sein.
Wie der Fall des Doppelskandals der US-amerikanischen Kriegsverbrechen in Irak und der durch JournalistInnen mitproduzierten Rufmordkampagne gegen Julian Assange beweist, schützt der „Berufsethos“ des Journalismus – die Recherchepflicht – mitnichten davor, Desinformation zu produzieren, zu verbreiten und sogar zu verteidigen. Und erinnern wir uns einmal an das Video Die Zerstörung der CDU des Youtubers Rezo (für ihn gibt es von mir ein „Herzchen“!). Die meisten seiner Rechercheergebnisse hielten einer mehrfachen Überprüfung stand: einer Überprüfung, der sich klassische JournalistInnen in diesem Ausmaß nicht unterziehen müssen, und noch weniger gilt das für die am Ende noch zu behandelnden „Meinungs-JournalistInnen“ der „Op-Eds“ und vergleichbarer, kolumnenhafter Formate.
Die Unterlassung der Recherche, die ungeprüfte Übernahme von Informationen aus der oberflächlichen Desktoprecherche: wie der Fall der US-amerikanischen Kriegsverbrechen und der Rufmordkampagne gegen Julian Assange zeigt, handelt es sich dabei nicht um einen Kavaliersdelikt. Auch sind nicht allein Geheimdienste verantwortlich zu machen: wie im Standard-Beitrag herausgearbeitet, hätten JournalistInnen früher aufdecken können, um welchen Vorgang es sich hier handelt: wenn sie ordentlich recherchiert hätten.
Ein schrecklich sympathisches Format: das „Op-Ed“
Leider sind es gerade JournalistInnen, die zur öffentlichen Meinungsbildung beitragen sollten, die dafür sorgen, dass vorproduzierte Meinungen reproduziert werden. Ich weiß nicht, ob Euch das auch schon aufgestoßen ist, dieses Format: das sogenannte „Op-Ed„. Laut Wikipedia bedeutet das:
An op-ed, short for „opposite the editorial page“, is a written prose piece typically published by a newspaper or magazine which expresses the opinion of an author usually not affiliated with the publication’s editorial board. Op-eds are different from both editorials (opinion pieces submitted by editorial board members) and letters to the editor (opinion pieces submitted by readers). (Wikipedia)
Ich wurde einmal von einer einschlägigen, englischsprachigen türkischen Meinungsplattform gefragt, ob ich nicht ihr Op-Ed Schreiber sein wolle. Ich habe mich nie mehr bei dem Menschen zurückgemeldet, nachdem ich nach anfänglichem Geschmeicheltsein recherchiert hatte, um wen es sich dabei handelte. Ich erspare mir hier Details. Mir war klar, dass es darauf hinausgelaufen wäre, dass man meine Meinung als Produkt auf dem Meinungsmarkt hätte reproduzieren wollen. Man hätte von mir eine einschlägige Sorte von Meinung erwartet. Man wäre mit meinen Meinungen nicht zurecht gekommen.
Ich habe den Eindruck, dass es viel zu viele „Op-Ed“-SchreiberInnen, viel zu wenige ernsthaft recherchierende JournalistInnen gibt. Wenn ich bis vor kurzem Spiegel Online geöffnet habe (bis zur neuerlichen Umstrukturierung der Homepage), so bot sich mir an prominenter Stelle eine Reihe von „Meinungs-SchreiberInnen“ an, die mit relativer Voraussagbarkeit immer ähnliche (erwartbare) Meinungen meinten und schrieben. Die mir ständig irgendwas aus ihrer Kindheit erzählen, und dann Rückschlüsse auf das Böse Hier und Jetzt ziehen. Sorry, Leute. Das ist nichts gegen Euch persönlich: aber das interessiert mich leider nicht. Dafür geht es bitte auf den Blog.
Berichtet lieber über Julian Assange und über amerikanische Kriegsverbrechen. Oder wie wäre es mit Jemen? Mit Rojava? Mit der Heuschreckenplage in Afrika? Mit der Frage, wer bei uns eigentlich für Digitalisierung zuständig ist? Wer berichtet eigentlich darüber, was dahinter steckt, wenn bestimmte Konflikte groß gemacht, während andere klein gehalten werden? Wer hat einmal die Anzahl der Artikel gezählt, die es über afghanische Geflüchtete in Deutschland gibt, und sie der Anzahl derjenigen Artikel gegenüber gestellt, die es zur Frage der Drohnenopfer in Afghanistan gibt? Wer liefert mir Argumente, die ich mir nicht selbst recherchieren kann, um dem sich ausbreitenden Whataboutismus etwas entgegenzusetzen?
Eure Meinung könnt Ihr mir erzählen, wenn wir uns auf einer Party treffen. Wo Rotwein fließt, wo geraucht wird: obwohl ich beides mittlerweile für eine sehr schlechte Idee halte. Ihr müsst aber damit rechnen, dass wir aneinander geraten: also, falls ihr erwartet oder meint, ich meinte immer nur Meinungen, die dasselbe meinen wie eure eigenen Meinungen. Meinungen, denen ihr ein Like oder ein Herzchen geben würdet.
I am not everybody’s darling. Und das ist auch gut so.