[Neue Medien] Lady Di ist tot – aber Esmeralda können wir helfen: ein epitomisches Pop-Drama der 1990er

Wer Esmeralda war und ist

In der figurativen Čaršija der Jugosphäre, wie der „Marktplatz der öffentlichen Meinungen“ hier zusammengefasst sei, wird sich noch heute erzählt, dass es in Bosnien-Herzegowina um das Jahr 1997 zu einer grotesken Spendenaktion für die Hauptprotagonistin der mexikanischen Telenovela Esmeralda gekommen sei. Daran erinnert auch die bosnische Satireseite Karakter.ba in einem Beitrag unter dem Titel: „Zeigen wir Menschlichkeit: Esmeralda braucht erneut unsere Hilfe“. [1]

Doch zunächst kurz zur Serie Esmeralda: im Serienplot war die Protagonistin Esmeralda der gleichnamigen Serie blind auf die Welt gekommen. Doch das Schicksal hatte es auch insgesamt nicht gut, ja: aschenbrödelhaft mit Esmeralda gemeint: als Baby wurde die eigentlich in eine reiche Familie geborene Esmeralda im Krankenhaus zunächst für tot erklärt. Ihren unwissenden Eltern wurde statt Esmeralda der Junge José Armando zugeschoben. Esmeralda und José Armando verlieben sich jedoch in der Serie als erwachsene Menschen später ineinander. Allerdings bestand für die blinde Esmeralda die Hoffnung, durch eine Augenoperation ihr Augenlicht erringen zu können — sofern sie sich nur genügend Geld würde beschaffen können. Soweit der Hauptstrang des Plots.

Dem Sarajevoer Urban Myth zu Folge hätten daraufhin ihre Fans aus dem noch stark kriegszerstörten, wirtschaftlich darbenden Bosnien-Herzegowina echtes Geld gesammelt, um „ihrer Esmeralda“ mit diesem Geld die Augen-OP zu ermöglichen. Den Anlass für die Spendenaktion bot ein Besuch der „eigentlichen Esmeralda“ aus der „uneigentlichen Serienfigur Esmeralda“ auf dem Balkan. Soweit die Grundspannung der impliziten Dramaturgie der Serie.

Doch wie wahr ist diese Großstadtsaga? Und was steckt dahinter? Mit Vorsicht sind mündliche Nachfragen zu diesem Thema zu genießen, wenn es darum gehen soll, „die Wahrheit“ über die Spendenaktion zu erfahren. Je häufiger ich unter meinen Bekannten aus Bosnien-Herzegowina nachgefragt habe, was über die Richtigkeit dieser Aktion zu halten sei und woran sich wer erinnern könne, desto weiter und konkreter schien sich der Mythos Esmeralda mit immer neuen Zusatzinformationen fortzuschreiben. Eine Freundin aus Mostar etwa erinnerte sich sofort. Sie war sich sicher:

Aber ja, in Međugorje wurden ganze Messen für Esmeralda gelesen!

Međugorje, für die Nichtkennerinnen der Jugosphäre, ist ein bekannter Pilgerort im herzegowinischen Karst, wo seit 1981 zuerst Kindern die Jungfrau Maria in Visionen erschienen sein soll, was freilich an und für sich ein interessantes Phänomen darstellt. Seitdem hat sich Međugorje zu einem Ort der Wallfahrten und der Anbetung entwickelt, auch wenn die katholische Kirche — generell knausrig mit derlei Anerkennungsgeschichten — nie anerkannt hat, dass es dort zu Mairenerscheinungen gekommen ist; darum scheren sich die Pilgerscharen jedoch nicht.

Nach meinem jetzigen Stand der Recherchen ist diese moderne Großstadtsage zwar nicht eindeutig belegt — ihr Wahrheitsgehalt aber auch weder gänzlich ausschließbar noch absurd. Es wäre einerseits erstaunlich, wenn die Hilfsaktion für Esmeralda wirklich stattgefunden haben sollte, ohne Forschungsinteresse oder mehr digitalisierte Belege nach sich zu ziehen — obwohl die Digitalisierung der traditionellen Print- und Rundfunkmedien zu Esmeraldas Zeiten freilich noch nicht weit fortgeschritten war. Ich habe keine nicht-digitalisierten Medien der Esmeralda-Zeit befragt, die womöglich weiteres Licht auf die Saga hätten werfen und „die Wahrheit“ über Esmeralda zu Tage fördern können. Und worin läge auch die Relevanz einer solchen Angelegenheit? Will ich mich vielleicht nachträglich über die Naivität warm- und großherziger bosnischer Omis lustig machen?

Warum Esmeralda nicht vergessen werden sollte

Auf einer Konferenz, an der ich in der ersten Jahreshälfte teilgenommen habe, ging es unter anderem um türkische Soft Power auf dem Balkan. In diesem Zusammenhang ist die Schwemme türkischer und „osmanischer“ TV-Serien ein unvermeidliches Thema. Dieses Thema war jedoch schon so oft Thema, dass sich ein Teilnehmer wünschte, es endlich einmal als „abgehandelt“ zu betrachten. Er stellte die berechtigte Frage in den Raum, worin denn die Relevanz solcher populärkultureller Hypes bestünde. Und wenn wir auf die Zeit vor den türkischen Serien zurück blickten: was sei denn schon übrig von den lateinamerikanischen Serien, die zuvor grassierten? Erinnerte sich denn überhaupt noch jemand an den Namen der Serien-Figuren?

Die Čaršija erinnert sich.
Und die Wikipedia.
Und das Fanwissen im Netz weiß auch noch ganz genau Bescheid.

Der Kult um populärkulturelle Stars wie Esmeralda ist bemerkenswert und relevant, wenn man bedenkt, von welch enormem emotionalen Mobilisierungspotential populärkulturelle Medienproduktionen bereits in der Zeit vor der digitalen Wende waren. Zu den populärkulturellen Stars sind jedoch nicht nur TV-Serien-Stars zu rechnen, sondern auch Pop-Musikerinnen, jegliche prominente Figuren aus der Yellow Press, die glitzernden Figuren des europäischen Restbestands von Adel wie Prinzessinnen, Königinnen, Prinzen oder auch (früher) der Schah von Persien und Soraya. Dieses Figurenrepertoire hat sich auch teilweise, aus Ermangelung oder Untauglichkeit echten Adels, auf den Geldadel ausgeweitet. Ein herausragendes Beispiel einer Prinzessinnenfigur bietet in dieser Hinsicht Lady Di (Princeza Dijana), deren Kult mit ihrem Tod 1997 auf einem dramatischen Höhepunkt kulminierte. Alle Tropen um dieses sofort medialisierte Ereignis sowie der gesamte Lady-Di-Diskurs in der (westlichen) Jugosphäre steht außerdem sogar in einem direkten Zusammenhang mit dem Helfen bosnischer Omis für Esmeralda, wie ich hier erörtern will.

Katastrofa: princeza Dijana mrtva!

Ich erinnere mich noch haargenau an das Drama, denn ich war gerade siebzehn Jahre alt und dabei, ein kleines Abenteuer zu erleben. Gegen die gar nicht erst abgefragte Erlaubnis meiner Mutter, die im Urlaub war und auch gar nichts hätte unternehmen können, aber in Absprache mit meinem Onkel, habe ich einen kleinen, zugequalmten LKW bestiegen, beladen mit meines Onkels Hausrat, und von Deutschland nach Kroatien begleitet. Diese Reise trug sich kurz vor dem dramatischen Tod von Lady Di zu, welches das Abenteur „Ich (fast) allein in der Lika“ sowie die anschließende Bosnienfahrt überschatten würde. Mein Onkel und seine Familie waren gerade abgeschoben worden:

Der Krieg ist vorbei. Geht zurück, woher ihr gekommen seid!“

In der Welt der Dörfer, in der ich die letzten siebzehn Jahre über gelebt hatte, herrschte eine Zeit der ungültig gewordenen Duldungen, der massenhaften Schwarzarbeit und der fragwürdigen Eheschließungen, die unter anderen Umständen und Staatsangehörigkeiten wahrscheinlich nie geschlossen worden wären. Mein Onkel war eine Ausnahme, denn er und seine Freundin waren wie verliebte Teenager, und sie würden eine Woche später dem Hausrat und Neffen nachreisen. Ich sollte den Hausrat eine Woche lang hüten, mehr nicht. So konnten er, seine Freundin, ihre zwei älteren Töchter aus erster Ehe sowie das gerade zur Welt gekommene, gemeinsame Baby (heute eine erwachsene Frau) sich um den letzten Abschiebekrempel kümmern, denn sie waren in zwei verschiedenen Bundesländern „geduldet“; die eine eine Woche länger als der andere. Meine Mutter würde mein sofortiges und begeistertes Mitmachen bei dieser Aktion irgendwann später kommentieren wie immer: „er hat ja schon immer gemacht, was er will.“

Die Fahrt im schrottigen LKW zog sich hin. Unser LKW wurde von ausnahmslos allen anderen Vehikeln überholt. Ich erinnere mich an einen sich endlos hinziehenden Autobahnhang im Alpenvorland, wo wir drohten, stehen zu bleiben — und die Alpen lagen doch erst noch vor uns! Aber irgendwie ging alles gut. Wir erreichten das Ende des Autobahntunnels von Jesenice und waren also in der Jugosphäre angekommen. In Kroatien strahlte die Sonne spätsommerlich. Das Haus stand am Rand eines gehen gelassenen Urwalds im kontinentalen Inneren Kroatiens, hie und da standen abgebrannte Häuser. Dort sagen sich Bär und Wolf Gute Nacht, wie man auch dem Logo des Nationalparks entnehmen kann, auf dem sich ein Bär befindet. Ich habe allerdings keinen zu Gesicht bekommen. Und obwohl ich sehr danach Ausschau hielt, habe ich auch keine der von allen so panisch gefürchteten Schlangen gesehen. Am meisten gefürchtet wird in der gesamten Jugosphäre ein sogenannter „Poskok“, der den Menschen angeblich grundlos plötzlich ins Gesicht springt, zubeißt und sogleich tödlich vergiftet.

Mir wurde geheißen, die Tür immer gut verschlossen zu halten, wegen all der Tiere, denn der Wald hatte auch noch allerhand anderes Geziefer auf Lager. Ich nahm mir vor, nicht in den Wald zu gehen — allerdings wegen der Minengefahr. Ausgenommen davon war mein Ausflug in den Nationalpark Plitvice, den man so leer wie damals heute völlig unmöglich wieder antreffen wird. Das Schließen der Tür war übrigens eine sehr vernünftige Anweisung, denn eines Tages stand eine ausgewachsene Kuh mitten im Hausflur (Beweisfoto folgt). Ich war mir nicht sicher, ob Kühe Menschen töten können, wenn Menschen versuchen, Kühe aus zugerümpelten Hausfluren zu vertreiben. Aber irgendwie ist sie schließlich rückwärts wieder hinausgetrampelt, und ich war ehrlich gesagt erleichtert.

Abgesehen von der Kuh und den nicht gesichteten Schlangen, Bären und Wölfen war es eine recht einsame Woche; im Nachhinein kommt mir das Buch „Walden oder ein Leben in den Wäldern“ von Henry David Thoreau in den Sinn. Jeder menschliche Kontakt, jedes Thema waren mir willkommen. Allerdings war die Kommunikation von meinen damals schlechten Jezik*-Kenntnissen stark beeinträchtigt, und irgendwie konnte auch niemand Deutsch, was unter allen mir bekannten Bosniern sonst eigentlich immer der Fall war.

Ich hatte in der Woche am Waldrand hauptsächlich mit drei Personen zu tun: mit einem Mann namens Boro, mit einer vereinsamten Nachbarin von zu Tode betrübtem Blick, und mit dem Verkäufer an der Tankstelle, die etwa 300 Meter vom Waldrand entfernt an der tosenden Magistrale lag. Boro war mit meinem Onkel befreundet, und er war ebenfalls unfreiwillig aus Bosnien als Flüchtling in diesen unwirtlichen Ort gekommen. Seine Aufgabe war es, ab und zu vorbei zu kommen, um zu sehen, ob mich nicht vielleicht eine Schlange gebissen habe. Die Nachbarin wollte regelmäßig kava mit mir trinken, was so eine Art soziales ‚Highlight‘ des Tages war; davor schickte sie mich außerdem regelmäßig zur Tanke, um Zigaretten für sie zu kaufen. Sie war sehr arm, und ihr stets abwesender Mann „taugte nichts“ (ama ništa ne valja).

Dann kam eines Tages Boro bestürzt zu mir. Er musste mich über die sensationelle Nachricht des Tages informieren, von der ich an meinem struppigen Waldrand — ohne Fernsehen, ohne Internet (logisch) — womöglich noch gar nichts mitbekommen hatte! „Princeza Dijana! Princeza Dijana je umrla! (…) nesreća (…)“ – Das musste ich doch unbedingt verstehen: Prinzessin Dijana! -Ich stand völlig auf dem Schlauch:

Prinzessin Dijana? Hä?! Prinzessin wer? Warum? Tot? Was hat das mit mir zu tun? Gab es in Kroatien eine Prinzessin?

Ich weiß nicht mehr, über welchen Eselsbrücken die Dämmerung dann einsetzte, aber irgendwann war auch mir klar, dass es die Lady Di getroffen hatte: Diana Spencer. And I was not so moved. Boro hingegen, die schnell hinzu geeilte Nachbarin, die Leute von der Tankstelle, die Titelseiten der dort verkauften Zeitungen der folgenden Tage: alle waren zutiefst bestürzt:

Wie konnte das sein? Das durfte doch einfach nicht sein! Princeza Dijana! Princeza Dijana — und dann mit dem Auto gegen die Wand gerast und tot!

Eine epochale Ungerechtigkeit des Schicksals hatte sich ereignet

Es hatte sich eine epochale Ungerechtigkeit des Schicksals zugetragen, das die Menschen mitriss. Es gab, soweit ich es verstehen konnte, kein anderes Thema. Ich verstand nicht nur nicht, was genau da besprochen, gewusst, spekuliert, verdächtigt, befunden und gemeint wurde: ich verstand auch nicht so ganz, warum dieses Thema so mitreißend war; ich verstand nicht, dass das Thema epitomisch für ein größeres Thema stand, und dass sich die Epitome („Ausschnitt“) auch auf Esmeralda und das spätere Helfen für sie erstreckte. Doch aus der entzauberten Warte meines siebzehnjährigen Weltwissens, frei von direkter Kriegserfahrung, bestand ein ernsthaftes Verständnisproblem. Andere Umstände hätten mich gar zu zynischen Kommentaren verleitet: tragische Autounfälle geschahen tagtäglich, besonders auch in dem Ort an der Magistrale nach Dalmatien, die durch den Ort am Waldrand führte, wo sie viel rasten, einander überholten, anhielten, bestraften und auch tödlich verunglückten.

Ich wusste diffus, dass es in Großbritannien einen Kult um die „Royals“ gab, den ich immer für höchst lächerlich hielt, und natürlich kannte ich Lady Di von den Illustrierten der Zahnarztpraxiswartezimmer und aus dem Fernsehen. Auch in Deutschland wurde Kult um Lady Di betrieben: aus meiner Sicht ein nerviges Getue um eine „Königin der Herzen“, um ihren großohrigen, unattraktiven Ehemann und ihre eisigkalte Schwiegermutter, die zudem alle noch extrem viel Geld hatten.

Aber was hatte das mit Kroatien zu tun? Mit bosnischen Flüchtlingen in Kroatien? Es war mir nicht klar und völlig unverständlich, warum sich sehr viel erwachsenere Menschen als ich zu einem so ausufernden, höchst emotionalen Fankult hinreißen lassen konnten. Warum taten sie ihre Emotionen so öffentlich kund? Warum sogar die Männer?

[Fortsetzung folgt]

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